Interview

Ralf Kalmar:

Nachhaltigkeit als

Königsdisziplin

Zur Person

Der Informatiker Ralf Kalmar ist seit 1996 im Team des Fraunhofer-Instituts für Experimentelles Software Engineering IESE. Er koordiniert das Fraunhofer-Leitprojekt „Cognitive Agriculture“, in dem acht Fraunhofer-Institute Innovationen für die Landwirtschaft entwickeln. Außerdem ist er als Geschäftsbereichsleiter zuständig für die Anbahnung von Industriekooperationen in unterschiedlichen Geschäftsfeldern mit Schwerpunkt Automotive und Nutzfahrzeuge, inklusive Landtechnik.

Essential

Methoden der Künstlichen Intelligenz kommen in der Landwirtschaft auf unterschiedliche Weise zum Einsatz, erklärt Ralf Kalmar. Zum einen dienen sie bei der Umfelderfassung sowie der Bewertung von Pflanzen und Tierzuständen Landwirten als Entscheidungsunterstützung, zum anderen bringen sie die Automatisierung von Landwirtschaftsmaschinen in Richtung mehr Autonomie voran. KI-Technologien können ihre Stärke bei der Analyse größerer Zusammenhänge ausspielen, etwa der Prozessanalyse von Stickstoffdüngung.

 

Damit entstehen neue Formen der Digitalwirtschaft, für die Landwirte eine Aus- und Weiterbildung benötigen. Ein zentrales Thema ist laut Kalmar die Frage der Datensouveränität: Landwirte sollen darüber bestimmen können, wie ihre Agrardaten verwendet werden und wie sie diese in andere Systeme einbringen können. Oftmals fehlten insbesondere bei spezialisierten Daten sowie bei Daten und Schnittstellen der öffentlichen Hand für das Melde- und Antragswesen Standards. Eine Standardisierung hält Ralf Kalmar nicht in allen Fällen für sinnvoll, gleichwohl müsse etwa bei Geodaten definiert werden, welche Daten künftig allgemein gebraucht und standardisiert werden sollen. Dies sei auch im Interesse internationaler Agrarkonzerne. Aus Perspektive des Landwirts müssten Daten aus betrieblicher und fachlicher Sicht getrennt werden können. Konzepte wie der digitale Zwilling als Abbild eines physischen Objekts könnten hierbei helfen, die Grenzen zu definieren.

Die Geschäftsmodelle für digitale Daten können unterschiedlich gestaltet werden, wobei laut Kalmar die Interessen der Anbieter und Kunden über Marktmechanismen ausbalanciert werden müssen. Derzeit hätten aber die Unternehmen gegenüber den Landwirten einen Wissensvorsprung. Offenheit und Transparenz seien deshalb bei der Gestaltung der digitalen Ökosysteme wichtig. Überdies müssten Verbände und Genossenschaften die Landwirte für den Umgang mit der neuen Digitalwirtschaft qualifizieren, um ein Machtungleichgewicht und eine Marktmonopolisierung zu verhindern. Hinsichtlich der Qualifizierung von Landwirten und der Regulierung von Datenplattformen würden in den nächsten Jahren wegweisende Entscheidungen gefällt werden.

Im Rahmen des Fraunhofer-Projekts COGNAC wird das Thema Interoperabilität von landwirtschaftlichen Daten untersucht. Konnektoren sollen Landwirte dazu befähigen, auf Basis von diensteorientierten Architekturen entscheiden zu können, was mit ihren Daten etwa zu Bodenparametern oder Düngergaben geschieht. Eine bessere Interoperabilität könnte KI-Lösungen mittels großer Datenmengen breitere Anwendungsmöglichkeiten eröffnen – weg von lokalen Optimierungen hin zu unternehmensweiten Entscheidungsunterstützungssystemen. Zentrale Datenarchitekturen zeigen nach Kalmar für das Trainieren von KI-Modellen Performance-Vorteile hinsichtlich Zugriffsmöglichkeiten und Datenverarbeitungsgeschwindigkeit, bergen jedoch in sich die Gefahr der Datenkonzentration und Monopolisierung. Dezentrale Datenarchitekturen hingegen zeigen sich resilienter mit Blick auf Ausfallsicherheit und Zuverlässigkeit, weshalb Kalmar eine Lösung in der Kooperation größerer Datenplattformen sieht. Der Datenaustausch könne hier über standardisierte Konnektoren erfolgen. Entsprechend könnten sich spezialisierte Plattformen herausbilden, die mit anderen zusammenarbeiten. Dazu könnten Plattformen zählen, die sich auf kognitive KI-basierte Dienstleistungen spezialisiert haben. Hinsichtlich der Umsetzungschancen zeigt sich Ralf Kalmar optimistisch, da sich im Rahmen der Gaia-X-Initiative viele Interessenvertreter gefunden hätten.

Nach Beobachtung von Ralf Kalmar beginne mit Blick auf das Insektensterben und die Erhaltung von Biodiversität die Diskussion um gemeinwohlorientierte Daten in der Landwirtschaft erst jetzt. Datenerfassungen mit Gemeinwohlorientierung müssten wie im SENTINEL-Satellitenprojekt wohl über Steuergelder finanziert werden. Die Identifikation gemeinwohlrelevanter Daten sei im Bereich der Agrarwirtschaft aufgrund komplexer und diverser Umweltprozesse und -einflüsse sehr anspruchsvoll. Daher stelle die Optimierung auf Nachhaltigkeit beispielsweise für die Erstellung der Stickstoffbilanz eines Betriebs die Königsdisziplin der KI dar. Für einen wirksamen Klimaschutz wisse man noch wenig über die Zusammenhänge. Eine umfassende Datenbasis für maschinelles Lernen verspreche hier Fortschritte. Dafür müssten die Möglichkeiten der Digitalisierung gezielt für Gemeinwohlziele genutzt und die Gestaltung von Lösungen nicht vorrangig Wirtschaftsunternehmen überlassen werden. Entsprechend müsse die Gemeinwohlorientierung von Projekten klar definiert werden.

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Interview

Nachhaltigkeit als Königsdisziplin

  • Wie kann Künstliche Intelligenz dem Landwirt helfen?
  • Ralf Kalmar: Es lassen sich zwei Einsatzgebiete der KI unterscheiden: einerseits für die Entscheidungsunterstützung des Landwirts, um komplexe Situationen auf Basis einer KI-Analyse großer Datenmengen zu bewerten. So kann der Landwirt beispielsweise unterstützt werden, die richtigen Erntezeitpunkte festzulegen. Grundlage sind digitale Dienste, die KIMethoden nutzen. Andererseits lässt sich KI für die Automatisierung von Landwirtschaftsmaschinen in Richtung mehr Autonomie einsetzen. Hier werden KI-Verfahren typischerweise zur Perzeption, etwa für die Umfelderfassung oder die Bewertung von Pflanzen- und Tierzuständen genutzt.
  • Wo kann die KI ihre Stärken ausspielen?
  • Ralf Kalmar: Für den Einsatz von KI-Technologien sind die größeren Zusammenhänge spannend: Beispielsweise kann man mithilfe von KI-Methoden besser verstehen, welche Wirkungen bestimmte Tätigkeiten wie etwa die Düngung mit Stickstoff entfalten können. Welche biologischen, chemischen Prozesse laufen im Boden ab? Wie sieht die Stickstoff-Bilanz aus? Um diese Prozesse besser verstehen zu können, sind viele Daten notwendig. Hier besteht die Chance, Zusammenhänge mithilfe von KI besser aufzuzeigen und die richtigen Schlüsse ziehen zu können.
  • Geht das in Richtung einer Präzisionslandwirtschaft, wenn nur dort gedüngt wird, wo es nötig ist, etwa um die gesetzlichen Grenzwerte besser einhalten zu können?
  • Ralf Kalmar: Genau. Es geht um eine teilflächenspezifische Düngung oder auch eine gezielte Bodenbearbeitung.
  • Es gibt inzwischen sehr viele KI-Pilotprojekte und -Anwendungen für die Landwirtschaft. Wie gehen die Landwirte damit um?
  • Ralf Kalmar: KI-basierte Anwendungen zur Entscheidungsunterstützung sind für viele Landwirte neu, weshalb hier Qualifikation, Aus- und Weiterbildung ein wichtiges Thema sind, um diese neue Form der Digitalwirtschaft verstehen zu können. Anwender müssen erkennen können, auf was sie sich einlassen und welchen Nutzen sie daraus ziehen können. Landwirte sollen nicht durch KI „ersetzt“ werden.
  • Wie können sich Landwirte gegenüber marktbeherrschenden Unternehmen behaupten?
  • Ralf Kalmar: Datensouveränität ist wichtig, aber es gibt kein Eigentum an Daten im Rechtswesen. In der Digitalwirtschaft und gerade bei der Anwendung von KI-Methoden sind digitale Informationen notwendig. Hier zu verstehen, welche Daten wichtig sind und was mit den eigenen Daten passiert, ist ein wichtiger Aspekt zur Akzeptanz von digitalen Lösungen. Datensouveränität bedeutet für mich: Nutzung nur mit Zustimmung. Dazu gehört Transparenz, also zu wissen, was mit den Daten passiert und wie sie verwendet werden, wie auch Flexibilität zur Änderung dieser Datennutzung, etwa für eine Mehrfachnutzung in anderen Kontexten.
  • Können Landwirte ihre Daten bereits von einem Anbieter mitnehmen, um sie bei einem anderen zu verwenden?
  • Ralf Kalmar: Das Mitnehmen der Daten und Einbringen in andere Systeme ist technisch nicht so einfach, weil die Systeme nicht immer kompatibel sind. Bei Grunddaten wie Feldgrenzen beispielsweise ist das leichter möglich, aber bei vielen spezialisierten Daten, wo es keine betrieblichen Standardisierungen gibt, ist das eher ein Wunschdenken.

Standardisierung und Transparenz

  • Wurden bereits wichtige Datenquellen und -sätze für die Standardisierung definiert?
  • Ralf Kalmar: Die landwirtschaftlichen Prozesse sind durchaus geprägt von einer Kooperation zwischen verschiedenen Stakeholdern. Beispielsweise gibt es Lohnunternehmer, die Landwirte bei Aufgaben wie der Ernte unterstützen, wobei hier ein sehr enger Datenaustausch notwendig ist. In diesen Bereichen wurde bereits standardisiert, um bestimmte Maschinendaten wie die Position und von der Maschine durchgeführte Arbeiten und Feldgrenzen auszutauschen. Das stellt aber nur einen Anfang dar. Andere Daten, die standardisiert werden können, sind Daten und Schnittstellen der öffentlichen Hand für das Melde- und Antragswesen, denn hier gibt es derzeit noch länderspezifische Unterschiede, etwa bei InVeKos1. Allerdings ist die Landwirtschaft komplex und es gibt viele Prozesse, viele unterschiedliche Feldfrüchte, Nutztiere und Vorgehensweisen.
  • 1) Mit dem Integrierten Verwaltungs- und Kontrollsystem (InVeKoS) werden die Agrarausgaben der Europäischen Union kontrolliert. Es enthält beispielsweise ein GIS-gestütztes System zur Identifizierung landwirtschaftlich genutzter Parzellen.
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  • Werden solche Lock-in-Effekte von den Anbietern bewusst generiert?
  • Ralf Kalmar: Wie man mit Informationen und Daten Mehrwerte schafft und von anderen Anbietern abgrenzt, ist letztlich eine marktwirtschaftliche Frage. Eine Standardisierung macht bei spezifischeren Daten wenig Sinn, da die dafür notwendige Abstimmung auch immer mit Aufwand von allen Seiten verbunden ist. Wir müssen aber die Diskussion führen, welche Daten in Zukunft allgemein gebraucht und standardisiert werden sollten.
  • Wo findet diese Diskussion bereits statt?
  • Ralf Kalmar: Man diskutiert etwa über Open Data gerade in dem Bereich der Geodaten. Ein erfolgreiches Beispiel sind die Sentinel- Satellitendaten aus dem Kopernikus-Programm, die öffentlich bereitstellt gestellt werden, wobei Dienstleistern und Firmen die Aufgabe überlassen wird, nutzbringende Dienste für Landwirte abzuleiten.
  • Haben Sie mit internationalen Agrarkonzernen wie John Deere zu tun, die hier bereits eigene Standards setzen?
  • Ralf Kalmar: Gerade die Hersteller, die einen globalen Markt bedienen, wollen keine länderspezifischen Lösungen entwickeln müssen, sondern möchten ihre Lösung auf zentrale Themen und Regularien abbilden, die die nationalen Rechte berücksichtigen. Eine breit abgestimmte Standardisierung ist hier natürlich von Vorteil.
  • Wie wichtig ist es dann, auf europäische Standards zu setzen?
  • Ralf Kalmar: Prozesse in Richtung von Standardisierungen laufen und man ist sich auf EU-Ebene dieser Thematik in ihrer Dringlichkeit bewusst. Es gibt deshalb zum Beispiel Initiativen wie den EU-Aktionsplan für geistiges Eigentum, entsprechende Rechtsakte vorzubereiten, welche die digitale Transformation und das Teilen von Daten von der rechtlichen Seite her unterstützen. Die Herausforderung besteht darin, dass es hier zwischen den Interessenvertretern sehr viele Abstimmungsprozesse gibt, die viel Zeit kosten.

Die digitale Kuh

  • Bei welchen Daten hat der Landwirt ein unbedingtes Interesse daran, die Datensouveränität zu behalten?
  • Ralf Kalmar: Ein Landwirt hat auch eigene wirtschaftliche Interessen und eigenes Know-how, das er schützen möchte. Insofern möchte man innerbetriebliche Daten wie Preise und Gewinne sicherlich weniger gerne teilen als Daten zu Feldgrenzen. Das Trennen von betrieblicher und fachlicher Sicht wäre also ein Schritt. Hierbei können Abstraktionskonzepte aus der IT helfen: Das Konzept des digitalen Zwillings als Abbild eines physischen Objekts wie einer Kuh oder eines Feldes erleichtert es zu definieren, wo man mit der digitalen Souveränität ansetzen möchte. Man könnte beispielsweise sagen, wenn mir die Kuh gehört, sollten mir alle Daten rund um die Kuh gehören und ich sollte bestimmen können, was mit diesen Daten geschieht.
  • Was geschieht dann mit der digitalen Kuh?
  • Ralf Kalmar: Wenn ich eine Kuh verkaufe, wird auch ihr digitales Abbild mit Daten zu ihrer Mobilität und Fertilität verkauft – der Käufer erhält einen gewissen Daten-Basissatz, um ihn in eigenen Prozessen verwenden zu können. Hier können Daten zu einem handelbaren Gut werden. Wenn ich mit digitalen Prozessen arbeite, sollten die damit erzeugten Produkte eine gewisse Menge an digital verfügbaren Daten vorweisen. Diese Daten müssen dann dementsprechend transferieren oder sogar handeln können.
  • Inwieweit ist die digitale Kuh auf den landwirtschaftlichen Höfen bereits Realität?
  • Ralf Kalmar: Den digitalen Zwilling gibt es in Konzepten und Diskussionen, er befindet sich noch in der Entstehung. In der Industrie 4.0 hat man schon früher damit begonnen, die dort entwickelten Konzepte kommen jetzt anderen Domänen zugute und damit auch der Landwirtschaft.
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  • Lohnt sich eine derart umfassende Digitalisierung denn nicht erst ab einem gewissen Ertrag? In welchen Bereichen ist das am ehesten zu erwarten, etwa bei besonderen Züchtungen?
  • Ralf Kalmar: Bei höherpreisigen Pflanzen wie einem Olivenbaum lohnt es sich eher, einen Sensor anzubringen, als bei einer Maispflanze. Heute sind bereits viele Kühe mit Sensoren bestückt, zum Beispiel um die Bewegungen zu erfassen oder um die Fertilität zu messen – das macht man bei einem Huhn nicht, weil der Wert eines Rindes höher ist. Investitionen in Sensoren werden eher bei höherpreisigen Tieren und Pflanzen getätigt. Ähnlich ist das bei Maschinen: Hier verfügen höherpreisige Maschinen über umfassendere Möglichkeiten der Datenerfassung. Lohnunternehmer, die leistungsfähigere Maschinen haben, können als Dienstleistung die Bereitstellung dieser Daten anbieten. Landwirte müssen also nicht unbedingt selbst diese Investitionen tätigen, sondern auch kleinere Betriebe können über Dienstleistungen Daten erfassen und in ihrem Betrieb nutzen.

Digitale Ökosysteme

  • Wie werden bei solchen Anwendungen die Eigeninteressen der Landwirte und der Maschinenhersteller oder Saatgut-Hersteller austariert?
  • Ralf Kalmar: Wir sprechen ja von digitalen Ökosystemen, in denen Interessen unterschiedlicher Interessenvertreter aufeinandertreffen. Ein wesentlicher Punkt ist, dass dieses digitale Ökosystem ausbalanciert sein muss, also dass die Anbieter und die verschiedenen Protagonisten kooperieren. Wenn etwa die Maschinen- oder Saatguthersteller in großem Stil Daten abziehen und damit die Landwirte im schlimmsten Falle ausbeuten würden, wäre das kein balanciertes Verhältnis und damit würde es auch nicht mehr für die Landwirte funktionieren und sie würden die digitalen Geschäftsmodelle nicht mehr gutheißen können. Ein Düngemittelhersteller möchte seinen Stickstoffdünger verkaufen, der Landwirt gute Erträge nachhaltig erwirtschaften und die Politik als Vertreter der Gesellschaft die Umweltschädigung minimieren. Alle können mithilfe von Daten bessere Informationen für die Erreichung ihrer Ziele erhalten.
  • Wie können die Interessen der verschiedenen Stakeholder ausbalanciert werden?
  • Ralf Kalmar: Es gibt durchaus unterschiedliche Möglichkeiten, die Geschäftsmodelle für digitale Daten zu gestalten, und das Bezahlen von digitalen Diensten mit Daten ist ein mögliches Geschäftsmodell. Wenn aber die Landwirte die Daten nicht einfach hergeben möchten, sondern souverän bleiben wollen, gäbe es die Möglichkeit einer monatlichen Zahlung in Form eines Abos oder einer einmaligen Zahlung beim Kauf einer Maschine, womit dann bereits eine gewisse Dienstleistung abgegolten ist. So wäre ein Düngeberatungsdienst in Form einer App ein Beispiel für eine solche Dienstleistung, die natürlich auch bezahlt werden will. Welches Geschäftsmodell dabei zum Tragen kommt, ist dann die Entscheidung des Marktes.

Die Gefahr der Marktmonopolisierung

  • Wie frei können sich die Landwirte hier noch entscheiden?
  • Ralf Kalmar: Es gibt durchaus Wahlmöglichkeiten. Aber damit Landwirte sich für ein Geschäftsmodell entscheiden können, müssen sie zunächst verstehen, wie diese Digitalwirtschaft funktioniert und wie viel ihre Daten wert sind, um dann ihre Wünsche zu artikulieren und nicht Gefahr zu laufen, zu Verlierern zu werden. Insofern sind auch Offenheit und Transparenz für die Gestaltung dieser digitalen Ökosysteme und den Umgang mit den Daten wichtig. Hier ist es sicherlich so, dass im Moment die größeren Firmen einen Wissensvorsprung haben, den sie an die Landwirte weitergeben müssen. Vielleicht sind auch Verbände und Genossenschaften stärker gefordert, die Landwirte zu qualifizieren und mitzunehmen, damit hier kein Ungleichgewicht entstehen kann.
  • Wie groß ist die Gefahr für dieses Machtungleichgewicht in der digitalen Landwirtschaft, das wir ja im Bereich großer Internet-Plattformen schon seit Langem beobachten können?
  • Ralf Kalmar: Wir haben eine sehr große Bandbreite: Es gibt Landwirte, die kennen sich gut aus und wissen genau, was sie wollen, aber es gibt auch Landwirte, die sich mit der Digitalisierung nicht befassen wollen. Insofern ist es auch eine politische oder letztendlich eine gesellschaftliche Aufgabe zu definieren, wie viel Qualifikation notwendig ist, welche Regeln wem gesetzt werden sollen und ab wann steuernd eingegriffen werden muss. Die Entscheidungen, die wir hier in den nächsten Jahren treffen werden, sind wegweisend für die Zukunft und deshalb wichtig. Dazu zählt auch die Diskussion um Datenplattformen wie Gaia-X, welche die Regularien und Qualitätsstandards betreffen.
  • Wird denn bereits die Diskussion geführt, wie man die Entwicklung der Marktmonopolisierung, wie sie in den letzten fünfzehn Jahren mit den Social-Media-Plattformen zu erleben war, auf dem Gebiet der digitalen Landwirtschaft verhindern kann?
  • Ralf Kalmar: Auf jeden Fall. Auf EU-Ebene laufen mit ATLAS und Demeter2 derzeit zwei große Förderprojekte, die gerade diese Zusammenarbeit von Daten und Diensten und Standardisierung des Austauschs auf Unternehmensebene adressieren. Im Auftrag des BMEL wurde auch kürzlich eine Machbarkeitsstudie veröffentlicht3, welche Rolle die öffentliche Hand in der Digitalisierung der Landwirtschaft in Bezug auf Datenplattformen spielen kann.
  • Was genau haben diese Projekte beispielsweise mit Klimaschutz und Biodiversität zu tun? Versuchen sie nicht primär die Effizienz landwirtschaftlichen Handelns zu optimieren?
  • Ralf Kalmar: Die Projekte schaffen durch das Ziel, einen standardisierten Raum für Daten und Dienste zu schaffen, die Voraussetzungen dafür. Sind die Voraussetzungen einmal gegeben, können auch Dienste, welche Aspekte von Nachhaltigkeit und Klimaschutz adressieren, viel einfacher erstellt werden. Und mit sehr großer Wahrscheinlichkeit kommen hier auch KIVerfahren wie maschinelles Lernen zum Einsatz.
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Interoperabilität als Schlüsselfaktor

  • Im Rahmen des Fraunhofer-Projekts COGNAC haben Sie sich mit Datenarchitekturen auseinandergesetzt. Was ist hier die wichtigste Erkenntnis?
  • Ralf Kalmar: Das Projekt COGNAC ist noch nicht abgeschlossen, aber zu den ersten Erkenntnissen gehört, dass die Interoperabilität ein Schlüssel für die digitale Transformation in der Landwirtschaft ist. Nur wenn die Daten automatisiert und ohne größere Aufwände erhoben werden und zugänglich gemacht werden und damit für digitale Dienste verwertbar sind, können Anwendungen wie auch KI-basierte Anwendungen entwickelt und angeboten werden. Bisher gibt es viele Insellösungen – ob bei den Betriebsdaten, den Daten der Innenwirtschaft oder der Außenwirtschaft, es gibt überall viel Verbesserungspotenzial. Zunächst sollten die Daten gleicher Prozesse austauschbar sein, aber erst wenn die Daten übergreifend aus verschiedenen Quellen automatisch interpretierbar sind, wie beispielsweise Bodenparameter, Wetter und Düngergabe, können wir auch im Großen Zusammenhänge erkennen und daraus lernen.
  • Arbeiten Sie an den Konnektoren, weil sie die Landwirte dazu befähigen, selbst entscheiden zu können?
  • Ralf Kalmar: Ja, diese Entscheidungsfreiheit ist wichtig, denn letztlich sind Landwirte Unternehmer und möchten das Einzelunternehmertum leben können und nicht Angestellte eines größeren Konzerns sein. Es gibt durchaus noch die Wahl zwischen mehreren Systemen von verschiedenen privatwirtschaftlichen Anbietern, wie Agrirouter und myJohnDeere – obwohl es bereits Konsolidierungen gab, weil etwa ein Unternehmen es sich nicht mehr leisten kann, ein solches System allein zu betreiben. Und diese großen Anbieter beginnen langsam Schnittstellen zu schaffen.
  • Wie wichtig ist Interoperabilität für den Landwirt?
  • Ralf Kalmar: In der Landwirtschaft gibt es im Moment einen Flickenteppich von unterschiedlichen Anbietern mit den verschiedensten Spezialisierungen. Daher hilft es nicht weiter, einen Datenstandard zu definieren. Unser Ansatz besteht deshalb darin, mit dem Konzept des digitalen Zwillings eine neue Abstraktionsebene einzuführen und mit diensteorientierten Architekturen zu versuchen, diese Komplexität mit semantischen Ontologien mehr oder weniger automatisiert aufzulösen. Der Landwirt kennt das Interoperabilitätsproblem ja schon von seinen Maschinen. Das setzt sich in der Software weiter fort. Mit dem Konzept der digitalen Zwillinge, also einer Repräsentation etwa des Traktors und der Anbaugeräte in der digitalen Welt, versucht man eine Kommunikationsebene zwischen den einzelnen Diensten bereitzustellen, die die Interoperabilität sicherstellt. In Bezug auf KI bedeutet die zunehmende Interoperabilität eine deutlich höhere Anwendungsbreite. Also weg von lokalen Optimierungen wie einer Düngeempfehlung, hin zu unternehmensweiten Entscheidungsunterstützungssystemen. Das ist erst bei sehr großen Datenmengen sinnvoll, weil dann die KI-Verfahren ihre Stärke bei der Identifikation bisher unbekannter Beziehungen im komplexen System Landwirtschaft ausspielen können.

Zentrale und dezentrale Datenarchitekturen

  • Was bedeutet das für die Datenarchitektur von Agrarplattformen?
  • Ralf Kalmar: Die damit einhergehende Frage ist dann, ob diese Daten oder Dienste zentral oder dezentral angeboten werden. Ein zentralisiertes Angebot hat hinsichtlich Zugriffsmöglichkeit oder Datenverarbeitungsgeschwindigkeit den Vorteil, dass es sich hinsichtlich der Performanz leichter optimieren lässt. Für das Training neuronaler Netze, etwa für das visuelle Erkennen von Beikräutern unter Nutzpflanzen, sind große Mengen qualitativ hochwertiger Daten notwendig. Daher ist es nicht unbedingt förderlich, wenn die hierfür notwendigen Daten erst einmal von Hunderten Stellen eingesammelt und synchronisiert werden müssen. Einen entsprechenden Anwendungsfall untersuchen wir in unserem Leitprojekt COGNAC: Ein digitaler Dienst trainiert kundenspezifisch die letzte Stufe eines neuronalen Netzes, um eine maßgeschneiderte Beikrauterkennung zu liefern. Die ersten Stufen profitieren von den Daten möglichst vieler Schläge.
  • Wäre denn nun eine zentrale einer dezentralen Datenarchitektur vorzuziehen?
  • Ralf Kalmar: Eine zentrale Datenplattform birgt die Gefahr der Monopolisierung, da mit der Konzentrierung der Daten auch eine Machtkonzentration einhergeht. Überdies stellt die Zentralisierung aus Sicherheitsaspekten einen zentralen Angriffspunkt dar. Insofern sind dezentrale Architekturen robuster mit Blick auf Ausfallsicherheit und Zuverlässigkeit. Deshalb liegt der Schlüssel in einer Kooperation von größeren Datenplattformen.

Plattform-Aufbau bei Gaia-X

  • Wie geht es nun bei Gaia-X weiter?
  • Ralf Kalmar: In die Richtung dezentraler Architekturen gehen wir auch mit den Konzepten von Gaia-X: über standardisierte Konnektoren den Datenaustausch von größeren Plattformen zu ermöglichen. Das bedeutet nicht, dass jeder PC-Arbeitsplatz eines Landwirts vernetzt wird, sondern, dass ein Dienstleister die Daten vorhält und anbietet. Das könnte bedeuten, dass sich spezialisierte Plattformen herausbilden, die mit anderen zusammenarbeiten: ein Speicherdienst, der digitale Zwillinge von meinen Daten verwaltet, und eine weitere Plattform, die sich auf kognitive KI-basierte Dienstleistungen spezialisiert hat und die über standardisierte Konnektoren Zugriff auf meine Daten erhält.
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  • Wie realistisch ist die Umsetzung solcher Konzepte in der Praxis?
  • Ralf Kalmar: Bis dahin ist es noch ein weiter Weg, aber die Menge der Interessenvertreter in der Gaia-X-Initiative zeigt, dass man gewillt ist, solche Anforderungen und einen entsprechenden Standard zu definieren. Aus Sicht von KI-basierten Anwendungen stellt sich auch die Frage, wie man an größere Datenmengen kommt, um ein gutes KI-Modell für das Training und die Validierung von kognitiven Diensten zu ermöglichen, und welche Voraussetzungen nötig sind, um eine solche Plattformlandschaft aufzubauen, die KI-basierte Dienste optimal unterstützt.
  • Welche Ideen für KI-Projekte werden hier verfolgt?
  • Ralf Kalmar: Es gibt ja bereits einzelne Projekte oder Dienstleistungen. Neben dem bereits erwähnten Beikraut-Erkennungsprojekt gibt es Projekte, die Vorhersagen über den Reifegrad von Biomasse auf Basis von multispektralen Satellitendaten mithilfe von maschinellem Lernen treffen. Der Landwirt sieht die Ergebnisse dann als grün, gelb oder rot eingefärbte Stellen auf einem Satellitenbild, die dann den Reifegrad signalisieren. Diese Verfahren gibt es heute schon, aber es gilt hier noch die Datenlage, die Modelle und die Verfahren zu verbessern. Für den Landwirt ist das letztendlich eine Kosten-Nutzen-Betrachtung.

Optimierungsziel Gemeinwohl

  • Inwieweit spielen bei solchen Projekten Gemeinwohlargumente eine Rolle? Werden etwa Reifegrad-Daten als Commons-Daten begriffen?
  • Ralf Kalmar: Diese Diskussionen um gemeinwohlorientierte Daten fangen jetzt langsam an. Wenn die Datenerfassung und -auswertung für solche Dienste Geld kostet, sind die Anwendungsszenarien eher im wirtschaftlichen Bereich zu finden, um es dem Landwirt zu ermöglichen, produktiver und effizienter zu werden, und ihm zu helfen, die geltenden Regularien besser einzuhalten. Im Zuge der Diskussionen um Biodiversität und Insektensterben besteht auch ein öffentliches Interesse daran, ein besseres Verständnis der Kulturlandschaft zu gewinnen. Das bedeutete dann, dass man als Bürger über seine Steuergelder solche Datenerfassungen finanziert, was etwa mit den Sentinel-Satellitendaten auf EU-Ebene bereits gemacht wird. Wir befinden uns hier noch Anfang. Sollten Gemeinwohl-Aspekte stärker berücksichtigt werden, muss das noch weitergehen.
  • Müsste die öffentliche Hand stärker als Nachfrager auftreten, damit die relevanten Daten erfasst und entsprechende Dienste entwickelt werden?
  • Ralf Kalmar: Ja. Allerdings muss man gute Gründe haben, um etwa dem Landwirt weitere Informationspflichten aufzuerlegen. Bei Felddaten ist der Ortsbezug wichtig, diese sind damit leicht auf Betriebe und damit die Landwirte abzubilden. Uns geht es in der Forschung darum, Konzepte, Lösungen und Vorschläge für Standardisierungen zu erarbeiten, damit unterschiedliche Stakeholder künftig in einem digitalen Ökosystem in der Landwirtschaft kooperieren und es nicht auf eine Monopolisierung oder Bevormundung etwa von Landwirten hinausläuft. Die Beantwortung der Frage, welche Daten nun relevant sind, ist im Bereich der Agrarwirtschaft erheblich anspruchsvoller als etwa in der Produktionstechnik, weil man es mit natürlichen Prozessen und Umwelteinflüssen wie dem Wetter zu tun hat, die mit ihrer Komplexität und Diversität eine erheblich höhere Herausforderung darstellen. In einem unserer Anwendungsszenarien im COGNAC-Projekt wird die Stickstoffbilanz eines Betriebs untersucht. Hier gibt es viele kleine Faktoren, die in der Summe jedoch einen großen Einfluss haben, wie beispielsweise Krümelverluste durch die Silage. Hier müssen also sehr viele verschiedene Stoffe und Prozesse erfasst und optimiert werden. Das lässt erahnen, dass eine Optimierung auf Nachhaltigkeit die Königsdisziplin der KI darstellt.
  • Müsste die Gemeinwohlorientierung von Projekten klar definiert sein?
  • Ralf Kalmar: Ja, auf jeden Fall. Wobei es hier wie bei wirtschaftlich orientierten Projekten ein klares Nutzenargument gibt. Die Volksabstimmung in Bayern zu Biodiversität und Insektensterben hat gezeigt, dass es ein öffentliches Interesse gibt. Andererseits wissen wir noch zu wenig über die Zusammenhänge, um Klimaschutz wirksam umzusetzen. Eine umfassende Datenbasis mit Blick auf maschinelles Lernen könnte uns hier weiterbringen.
  • Es ist also eine sehr klare Ziel-Adressierung notwendig, weil sonst Klimaschutz und Biodiversität gefährdet sind?
  • Ralf Kalmar: Einerseits das, andererseits sollte man den Mut haben, die Möglichkeiten der Digitalisierung auch für Ziele des Gemeinwohls zu nutzen, und die Gestaltung nicht vorrangig den Wirtschaftsunternehmen überlassen. Das wird im Moment aber nur vereinzelt gemacht.
  • Findet denn eine Zielverschiebung auf europäischer Ebene durch die neuen Player statt, die jetzt über das Gaia-X-Projekt hereinkommen?
  • Ralf Kalmar: Über die International Data Spaces, die von Fraunhofer gestartet wurden, finden sich auch viele der entwickelten Konzepte wie das zur Datensouveränität und zu den Konnektoren in Gaia-X wieder. Diese legen eine Basis, unterschiedliche Ziele wie auch Ziele des Gemeinwohls zu adressieren. Die derzeitigen Interessenten am Projekt kommen überwiegend aus dem wirtschaftlichen Umfeld. Es kommt jetzt aber auch zunächst darauf an, eine entsprechend leistungsfähige Infrastruktur aufzubauen, dafür brauchen wir die Unternehmen. Die Initiative ging auch mit von der Politik aus, sodass ich optimistisch bin, dass auch Anforderungen von unterschiedlichen Sichten Berücksichtigung finden.
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Projekt

Projekt COGNAC: Datensouveränität für den Landwirt

Im Fraunhofer-Leitprojekt Cognitive Agriculture (COGNAC) werden neue Technologien zur Unterstützung der digitalen Transformation in der Landwirtschaft untersucht und erprobt. Ein wichtiger Baustein ist die Umsetzung von Datennutzungskontrolle im Bereich der Landwirtschaft. Im Einklang mit der International Dataspace-Initiative (IDS) soll ein sicherer Datenraum – ein Agricultural Data Space – geschaffen werden, in dem Landwirte „ihre“ agronomischen Daten bewirtschaften können. Beispiele für Anwendungsszenarien für Datennutzung mit Datennutzungskontrolle in der Landwirtschaft:

  • Führt ein Lohnunternehmer Arbeiten auf Feldern eines Landwirts durch, so werden hierfür die Daten des Betriebs wie Feldgrenzen, frühere Applikationen oder Nmin-Wert zur Bestimmung des mineralisierten Stickstoffgehalts im Boden benötigt. Der Landwirt gewährt ihm Zugriff auf diese Daten, gibt aber bestimmte Einschränkungen vor: So beschränkt er den Zugriff auf die Zeitdauer der Arbeiten oder ermöglicht ihn nur innerhalb bestimmter geografischer Grenzen.
  • In einem weiteren Szenario gewährt ein Landwirt dem Berater A den Zugriff auf agronomische Daten, unterbindet aber die Weitergabe. Berater B hingegen darf sie mit anderen Beratern teilen, um Betriebsvergleiche anstellen zu können. Der Landwirt wird über jede Weitergabe per Mail informiert.
  • In einem dritten Szenario stellt der Landwirt Forschern Daten für eine regionale Studie zur Nitratbelastung anonymisiert zur Verfügung. Hierfür werden automatisch Inhalte entfernt, die auf betroffene Felder, Landwirte oder Standorte hindeuten.

Beispielhafte Anwendungsfälle von Datennutzungskontrolle in der Landwirtschaft

Mithilfe einer differenzierten Datennutzungskontrolle soll die Bereitschaft zum Teilen von Daten gefördert werden. So soll eine Datenökonomie aufgebaut werden, die einen balancierten, gemeinschaftlichen Umgang mit Daten ermöglicht. Das Projekt COGNAC sucht hierfür eine geeignete Systemarchitektur und untersucht Voraussetzungen für ein darauf aufbauendes digitales Ökosystem. Zur Datensouveränität gehören nach Auffassung von Fraunhofer IESE die Bereitschaft zur offenen Kollaboration im Datenraum, ausgeglichene Machtverhältnisse für eine faire Datenökonomie sowie Technologien, die klare und transparente Regeln zur Nutzung von Daten ermöglichen und sicherstellen.

So könnte etwa in eigenständigen Insellösungen eine Datennutzungskontrolle lokal umgesetzt werden. Allerdings stellt sich für den Landwirt die Frage, ob er sich damit einem einzelnen Anbieter ausliefert und was geschieht, wenn ein anderes Unternehmen mit seiner Plattform die Schnittstellen bestimmt?

Wenn eigenständige Systeme etwa im Rahmen der IDS in einem dezentralen, verteilten System dezentral untereinander verbunden werden, können Nutzer einzelner Plattformen auf die Datenbestände anderer Plattformen zugreifen. Hierfür müssen die Daten untereinander kompatibel und austauschbar sein. Außerdem müssen die Daten im Sinne der individuellen Datensouveränität einer Datennutzungskontrolle unterliegen, die über sogenannte Konnektoren umgesetzt wird.

Eine zentrale Datenplattform zur Datenhaltung steht in Verbindung zu den Farm-Management-Informationssystemen (FMIS).

Direkte Verbindung der Farm-Management-Informationssysteme untereinander über Konnektoren, die die Datennutzungskontrolle ermöglichen.

Hintergrund

KI in der Landwirtschaft

Digitalisierung in der Landwirtschaft zielt oftmals auf die Steigerung von Effizienz und Produktivität: Für die Präzisionslandwirtschaft werden große Datenmengen zunehmend mit KI-gestützten Methoden ausgewertet, um beispielsweise den Einsatz von Robotik zu optimieren. Schwere Landmaschinen wie Traktoren können künftig durch kleine, leichte Agrobots ersetzt werden. Abgesehen davon, dass ihr Einsatz die Bodenverdichtung verringern würde, könnten solche Bots auf Feldern Unkraut jäten und somit zu einem geringeren Einsatz von Herbiziden führen.

Maschinelles Lernen kann diese Art der Feldbewirtschaftung auf nachhaltige Optimierungsziele ausrichten. Das 2019 gegründete Unternehmen Pixelfarming Robotics beispielsweise widmet sich der Frage, inwieweit hoch aufgelöste zeitliche, räumliche und genetische Vielfalt ökologische Prozesse befördern kann.1 Der WBGU sieht in seinem Hauptgutachten zur Landwende in der Skalierung dieser Methode „das Potenzial, digitale Technologien innovativ für nachhaltige Landwirtschaft einzusetzen“. Unter anderem kann auf den Einsatz von Pestiziden durch die optimierte Kombination verschiedener Pflanzen auf Basis ihrer Eigenschaften und deren Wechselwirkung verzichtet und gleichzeitig eine Ertragssteigerung erreicht werden. Die Pixelfarming-Roboter werden über eine Cloud-Plattform mittels Deep Learning gesteuert, auch wurden erste solargetriebene Prototypen entwickelt.

Auf digitalen Plattformen werden Daten zu Saatgut und Düngern, Boden und Schädlingsbefall, Wetter und Klima, Marktentwicklung und Expertenwissen zusammengeführt und mit Verfahren des maschinellen Lernens bzw. Künstlicher Intelligenz analysiert. So sollen Düngemittelzusammensetzungen, Saatgutbeschichtungen und Nutzpflanzenmerkmale für die nächste Anbausaison optimiert werden. Große Agrarunternehmen versuchen seit Längerem, die Nutzung von Saatgut und Pestiziden zu steuern und zu bestimmen, wer von den gesammelten Daten profitieren kann. Sie gehen Partnerschaften mit Landmaschinenunternehmen ein, die Feldinformationen sammeln und diese mit Markt- und Wetterdaten kombinieren können. In den Industrieländern wird diese Entwicklung in Hinblick auf „ungleich verteilte Zugangschancen, erwartbare Rebound- Effekte oder Pfadabhängigkeiten kontrovers diskutiert“, stellt der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) fest. Die Entwicklung von Daten- und Service-Plattformen in der Hand großer Agrarkonzerne könne heutige Machtasymmetrien zwischen Produzierenden und Verbrauchern auf der einen Seite und der Agrarindustrie auf der anderen Seite vergrößern.2 Eng damit verbunden sind Fragen nach Datenschutz sowie Datenhoheit – nicht nur in Europa, sondern auch in den Entwicklungsländern, wo das Risiko eines „Datenkolonialismus“ höher sei. Die zentrale Frage, „wer die Technologie und ihre Gestaltung sowie den Zugriff auf die Informationen kontrolliert“, führt, so der WBGU, „unweigerlich zur wertebasierten Diskussion zwischen individualistischen und gemeinwohlorientierten Ansätzen“.

In Deutschland dreht sich laut WBGU die Diskussion zum einen um die Frage, inwieweit der Staat die digitale Infrastruktur für Plattformen als Teil der Daseinsvorsorge aktiv bereitstellen kann, zum anderen, wie geteilte Datenräume kommerziell genutzt werden können. Damit ist eng die Frage verbunden, wie Partikularinteressen mit dem Gemeinwohl ausbalanciert werden können. Gleichwohl werden aktuell Aspekte des Klima- und Umweltschutzes bislang nur nachrangig adressiert. Ein Agricultural Data Space (ADS) könnte einen diskriminierungsfreien Zugang ermöglichen, womit verhindert werden könnte, dass Plattformanbieter zu stark in die unternehmerische Freiheit von Bauern und Bäuerinnen eingreifen.3 Noch ist es unklar, ob auf Basis des europäischen Plattformökosystems GAIA-X primär Akteure der industriellen Präzisionslandwirtschaft ihren Platz finden bzw. welcher Art von Landwirtschaft eine solche KI-gestützte Agrar-Plattform dienen würde.

Literatur

Fraunhofer-Institut für Experimentelles Software Engineering IESE (2019): Agricultural Data Space (ADS). Veröffentlichung des Fraunhofer-Leitprojekts „Cognitive Agriculture”, Kaiserslautern. https://www.iese.fraunhofer.de/content/dam/iese/de/dokumente/innovationsthemen/COGNAC_Whitepaper_ADS2019.pdf

Kalmar, R., Rauch, B. (2020): Wie schafft man Datensouveränität in der Landwirtschaft? Fraunhofer IESE Blog.

Kalmar, R., Rauch, B. (2020): Wie schafft man Datensouveränität in der Landwirtschaft? Fraunhofer IESE Blog, https://www.iese.fraunhofer.de/blog/wie-schafft-man-datensouveraenitaet-in-der-landwirtschaft/

Fraunhofer IESE (2020): Machbarkeitsstudie zu staatlichen digitalen Datenplattformen für die Landwirtschaft. https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/_Digitalisierung/machbarkeitsstudie-agrardatenplattform.pdf;jsessionid= 08F4E3BF7C029039A985DF309DE27CD9.live921?__blob=publicationFile&v=3

 

Weiterlesen zum Thema:

Burger, M., Fiedler, J. (2020): Mathematik und Big Data auf dem Feld Kognitive Dienste unterstützen die Landwirtschaft, Fraunhofer IESE Blog, https://www.iese.fraunhofer.de/blog/big-data-landwirtschaft/

Michelsen, L. (2019): Agrarindustrie 4.0 – Zukunftsfähige Landwirtschaft? In: Höfner, A. & Frick, V. (Hrsg.), Was Bits und Bäume verbindet, Digitalisierung nachhaltig gestalten [S. 82 – 85]. München: oekom.

Schäfer, T., Nähle, C. & Kurz, D. (2019): Was geht mich das an? Saatgut wie Software. Eine Frage der Lizenz. In: Höfner, A. & Frick, V. (Hrsg.). Was Bits und Bäume verbindet, Digitalisierung nachhaltig gestalten [S. 79 – 81]. München: oekom.

Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (2020): Landwende im Anthropozän: Von der Konkurrenz zur Integration, https://www.wbgu.de/fileadmin/user_upload/wbgu/publikationen/hauptgutachten/hg2020/pdf/WBGU_HG2020.pdf

Wöllenstein, J., Wiedenmann, D. (2020): Dem Stickstoff auf der Spur mit Lachgasmessungen, Fraunhofer IESE Blog, 7.5.2020, https://www.iese.fraunhofer.de/blog/dem-stickstoff-auf-der-spur-mit-lachgasmessungen/

Das Interview mit Ralf Kalmar führte die Journalistin Christiane Schulzki-Haddouti im Rahmen eines vom Bundesministerium für Bildung und Forschung beauftragten Publikationsprojektes zum Thema „KI und Nachhaltigkeit“. Die vollständige Publikation steht als PDF zum Download zur Verfügung.