Der Digitale Zwilling und GAIA-X – die Zukunft der ortsunabhängigen, personalisierten Medizin

Eine effiziente Gesundheitsversorgung erfordert intuitiv nutzbare und semantisch verknüpfte Daten aus verschiedenen Quellen des klinischen Umfelds. Klinische Daten sind jedoch oft nur lose strukturiert und in Form von Fließtext oder Rohdaten gespeichert, sodass nur ein Bruchteil des Datenpotenzials genutzt werden kann. Zur Bewältigung dieser Probleme werden am Innovation Center Computer Assisted Surgery (ICCAS) der Universität Leipzig digitale medizinische Zwillinge der Patientinnen und Patienten erforscht und entwickelt.

© ICCAS

Ein digitaler Zwilling in der Medizin ist die virtuelle Abbildung der Patientin oder des Patienten, die alle benötigten Daten (z.B. zu Medikation, Krankheiten, Behandlungsprozessen, aber auch genetische Daten) beinhaltet. Im digitalen Zwilling können jedoch nicht nur Daten strukturiert gespeichert und miteinander verknüpft werden. Auch Therapien lassen sich damit testen und optimieren, Risiken minimieren und der individuelle Verlauf einer Krankheit mit einem Computermodell vorhersagen. Solche digitalen Modelle bilden die Grundlage jeder zukunftsfähigen Technologie zur Unterstützung des medizinischen Personals bei der Therapieentscheidung, -umsetzung und Erfolgskontrolle.

Mit GAIA-X wird derzeit eine sichere und vertrauenswürdige Dateninfrastruktur für Europa entwickelt, die den sicheren Austausch von Modellen, Daten und Services erlaubt. Ziel ist es, Konzepte für die Integration von Digitalen Zwillingen in das GAIA-X Ökosystem zu entwickeln, damit Gesundheitsdaten, trainierte Modelle und Analysemodule zwischen verschiedenen Einrichtungen der Gesundheitsversorgung (z.B. Kliniken, Praxen, ambulante Einrichtungen) in Deutschland, aber auch in Ländern innerhalb der EU jederzeit gemeinsam genutzt werden können.

Szenario: Personalisierte Diagnostik, Therapie und Betreuung

Ein Blick in die Zukunft der ortsunabhängigen, personalisierten Medizin: Im Jahr 2030, so die Erwartung, erhält jede Patientin und jeder Patient beim Hausarzt einen digitalen Zwilling, eine personalisierte Diagnostik und Therapie sowie eine regelmäßige telemedizinische Betreuung. Die Gesundheitsdaten werden aus verschiedenen Quellen (z.B. elektronischer Patientenakte, Medikationsplan, Dokumentation von Hausarzt und Krankenhaus sowie Bilddaten) im persönlichen digitalen Zwilling miteinander verknüpft. Ergänzt wird die Fernbetreuung durch verschiedene Sensoren, deren Daten in den digitalen Zwilling integriert werden. Hierzu zählen etwa mobile Apps, Fitnessarmbänder (Wearables) und Waagen sowie Blutdruck-, Puls- und Oxymetriemessgeräte für eine elektro-kardiologische Überwachung.

Der digitale Zwilling begleitet die Patientin oder den Patienten über die gesamte Behandlung hinweg. Mit GAIA-X steht zusätzlich ein europaweites Ökosystem zu Verfügung, sodass solche Modelle Gesundheitsdaten und entwickelte Analysemodule sicher sowie sektoren- und auch länderübergreifend ausgetauscht werden können. Über Smart Services, wie etwa KI-basierte Sensor- und Bilddatenauswertung, umfassende Simulationen und Behandlungsvorhersagen können neue Softwarewerkzeuge für die medizinische Behandlung zur Verfügung gestellt werden. Die aufgenommenen Rohdaten werden durch KI-Algorithmik innerhalb eines Rechenclusters des GAIA-X Ökosystems ausgewertet und der Ärztin oder dem Arzt entweder in der Praxis oder beim Hausbesuch, in aufbereiteter Form zur Verfügung gestellt, um die Diagnostik zu unterstützen. Zudem sind Daten vergangener Untersuchungen zu jeder Zeit und an jedem Ort verfügbar, sodass diese für eine intelligente Verlaufsbewertung verwendet werden können.

Sichere Verschlüsselung patientenbezogener Daten

Zurück in die Gegenwart: Möchten chronisch kranke Patienten verreisen, ist das heute mit einem hohen Aufwand verbunden. Für eine mögliche medizinische Behandlung im Ausland muss die Patientenakte mit einem aktuellen Arztbericht, ggf. dem letzten OP-Bericht, radiologischen Bildern und Befunden und Informationen zur Medikation in der jeweiligen Landessprache übersetzt mitgeführt werden. Im Jahr 2030 können diese Informationen über den digitalen Zwilling und GAIA-X europaweit jederzeit zur Verfügung stehen.

Eine sichere Kommunikation der medizinischen Anwendungen mit dem digitalen Zwilling wird aufgrund der Sensibilität der patientenbezogenen Daten vollständig Ende-zu-Ende verschlüsselt realisiert. Übergreifende Aufgaben wie Authentifizierung, Rechtemanagement und Nutzerverwaltung werden dabei von der GAIA-X-Infrastruktur bereitgestellt. Die notwendigen Schnittstellen zu klinischen Primärsystemen für den Zugriff des digitalen Zwillings auf patientenbezogene Daten erfolgt konform zu medizinischen Kommunikationsstandards, insbesondere HL7 FHIR und DICOM. Somit können Daten nicht nur von jedem Ort aus eingesehen, sondern auch im digitalen Zwilling gespeichert werden.

Patientinnen und Patienten erhalten dabei eine ortsunabhängige Behandlung auf höchstem Niveau und eine höhere Patientensicherheit durch einrichtungsübergreifende Versorgungsprozesse, interdisziplinäre Expertenentscheidungen und durch die Verfügbarkeit strukturierter Daten am Behandlungsort. Die medizinischen Anwender profitieren von neuen, innovativen Assistenzfunktionen und Softwarewerkzeugen für Aufbereitung, Darstellung und Analyse klinischer, bildgebender und sensorischer Daten, basierend auf einem patientenindividuellen digitalen Zwilling. Neben einer verbesserten Patientenversorgung führt dies auch zu einer nahtlosen Datenintegration ohne Medienbrüche zwischen verschiedenen Institutionen - europaweit.

Fakten zur Anwendung


Technologiefeld
Datenmanagement und -analyse
Mensch-Maschine-Interaktion und Assistenzsysteme
Sensorik und Kommunikation
Branche
Gesundheit und Pharma
Einsatzfeld
  • Intelligente Assistenzsysteme
    Predictive Analytics
    Wissensmanagement
Wertschöpfungsaktivität
Forschung und Entwicklung [FuE]
Förderung
Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)
KI-Entwickler
Innovation Center Computer Assisted Surgery ICCAS
 
Universität/Forschungsinstitution