Use Case

Streuobstwiesen pflegen und erhalten: Roboter für fachgerechten Obstbaumschnitt

Use Case im Überblick

Branche: Landwirtschaft

Aufgabe: B(Teil-)automatisierter Baumschnitt, um Streuobstwiesen als Kulturlandschaft zu erhalten und zu fördern

Methode: Neuronale Netzwerke, Entscheidungsbäume (Decision Trees), bestärkendes Lernen (Reinforcement Learning) und weitere

Allgemeines

Streuobstwiesen gehören zu den artenreichsten Biotopen und sind in vielen Regionen Deutschlands landschaftsprägend. Mit ihren großkronigen Hochstammobstbäumen bieten
sie Lebensraum für zahlreiche Tier- und Pflanzenarten. Diese besondere Kulturlandschaft kann nur erhalten werden, wenn sie gepflegt und genutzt wird. Fast 80 Prozent der Streuobstbäume werden jedoch nicht oder nur unregelmäßig geschnitten. Fachgerechte Pflege und sachgemäßer Schnitt sind aber die Voraussetzung für langlebige, gesunde und ertragreiche Obstbäume (MLR, 2015; Reiser et al., 2021; Straub et al., 2022). Die Anzahl der Fachleute, die über das notwendige Wissen für die Pflege und nachhaltige Nutzung von Streuobstbäumen verfügen, ist jedoch rückläufig. Zum Erhalt der Kulturlandschaft „Streuobstwiese“ sollen daher zukünftig vom Menschen angeleitete, autonome Roboter den Baumschnitt unterstützen, um Bestand und Ertrag zu erhalten.

Status quo

Das KI-System für den Roboter kann mithilfe neuronaler Netze lernen, welche Äste geschnitten werden müssen und wo genau der Schnitt erfolgen soll. Das Lernen erfolgt durch den Input von Expertinnen und Experten, die sich mit Baumschnitt auskennen. Hierzu werden Schnittinformationen in ein bestehendes 3D-Modell integriert, in dem durch mathematische Merkmale (z. B. 3D-Voronoi-Berechnungen) gelernt wird, welche Äste an welcher Stelle des Modells geschnitten werden müssen.

In der angewandten Forschung wurde bereits ein solches KI-System in mehreren Schritten aufgebaut:

  1. Das System macht Aufnahmen des Baumes aus verschiedenen Perspektiven und erstellt eine photogrammetrische 3D-Punktwolke.
  2. Die Punktwolke wird unter Verwendung von maschinellem Lernen segmentiert und in ein 3D-Modell überführt (vgl. Reiser et al., 2021; Straub et al., 2022).
  3. Eine fachkundige Person schneidet den Baum und eine Aufnahme wird davon gemacht. Das System lernt durch Berechnungen der Unterschiede semantischer Merkmale zwischen den Zuständen vor und nach dem Baumschnitt und kann eigenständig Vorschläge zu Schnittpunkten machen. Dies kann als Entscheidungshilfe für einen unerfahrenen Menschen genutzt werden.

Zukunftsperspektiven mit KI

In Zukunft könnte ein solches KI-System in einen Roboter integriert werden und somit selbstständig entscheiden, welche Äste wo geschnitten werden können, und den Schnitt mit entsprechender Aktuatorik autonom ausführen. Da die Umgebungen jedoch sehr komplex und dynamisch sind, ist eine variable Autonomie sinnvoll, um mittel- bis langfristig höhere Autonomiegrade zu erreichen (vgl. Beyerer et al., 2021). Umsetzbar wäre dies mithilfe von teleoperativ durchgeführten Baumschnitten, von Fehlerkorrekturen bei der Identifikation möglicher Schnittstellen oder durch die Freigabe von Schnittoptionen seitens Fachkundiger. Bei zu großer Unsicherheit wäre das System sogar selbst in der Lage, eine Freigabe durch jene anzufordern.

Weiterhin könnte das Schneiden von Bäumen auch in virtuellen Räumen trainiert und so Wissen weitergegeben werden – an einen Menschen wie an das KI-System:

  1. Der Mensch könnte diese Fähigkeiten, das fachgerechte Schneiden, in virtuellen Räumen erlernen (virtuelles Baumschneiden).
  2. Die in virtuellen Umgebungen gesammelten Daten könnten wiederum als Trainingsdaten für Robotersysteme dienen.

Quellen des Lernens

  • Lernen durch Beobachtung der menschlichen Arbeitsergebnisse beim Baumschnitt
  • Lernen durch menschliches Feedback (z. B. Entscheidungen oder Korrekturen), sei es manuell vor Ort oder durch Teleoperation bzw. in variabler Autonomie
  • Daten aus den Handlungen von Menschen in virtuellen Umgebungen (Simulation)
  • Benötigte Daten
  • Empirisch real (Sensordaten, z. B. RGB-Kameras, LiDAR)
  • Empirisch virtuell (Interaktion in virtueller Umgebung)
  • (Interaktions-)Daten, die durch Teleoperation oder im Zuge variabler Autonomie entstehen

Methoden des Lernens

  • Decision Trees (Random Forest)
  • Neuronale Netzwerke
  • Reinforcement Learning

Qualitätssicherung

  • Feedback im Rahmen variabler Autonomie (z. B. Korrekturen)
  • Visualisierung und Validierung der Lerndaten (Digital Twins) bzw. Expertenkontrolle
  • Visualisierung der Messdaten bei komplexen Systemen sehr wichtig, um Fehler zu entdecken

Systemvoraussetzungen

Grundvoraussetzung für die Aktorik ist, dass die Sensorik in Echtzeit eingesetzt werden kann. Des Weiteren muss die Soft- und Hardware des Robotiksystems hinreichend gut integriert sein. Für die (Daten-)Kommunikation sowie das KI-Training und die KI-Inferenz sind eine IT- und Cloudumgebung mit entsprechender Rechenkapazität nötig. Schließlich hängt die Anwendung auch von adäquaten Kommunikationsnetzwerken auf dem Land für die (Daten-)Kommunikation (3G bis 5G) ab.

Weitere Voraussetzungen

  • Bereitschaft des Menschen zur Interaktion
  • Qualifikation der ExpertInnen (Kenntnisse in der Pflege von Hochstammobstbäumen)

Realisierung und mögliche Hürden

Das Softwaresystem zur Schnittpunktbestimmung ist bereits weit entwickelt und könnte aus technischer Sicht kurzfristig als Entscheidungshilfe für den Menschen bei der Baumpflege eingesetzt werden. Die Integration der Software in ein Robotersystem inklusive der notwendigen Aktorik für die Baumpflege sowie die Umsetzung der variablen Autonomie werden hingegen erst in einigen Jahren technisch umsetzbar sein. Größere Hürden stellen unter anderem die Umsetzung der Echtzeitsensorik sowie der Umgang mit der Heterogenität der Umgebung in Streuobstwiesen dar. Auch die Autonomie sowie die Teleoperation der Aktorikstellen sind herausfordernd, da die Objekte – Grasflächen, Kronenstruktur, Topografie, Flächengrößen, Baumalter etc. – extrem individuell sind und somit in ihrer räumlichen Erscheinung stark variieren.

(Einschätzung I Stand 09/2024)

Entwickelt wurde dieser Use Case mit Expertise aus der Arbeitsgrupppe „Lernfähige Robotiksysteme“ der Plattform Lernende Systeme, insbesondere von Prof. Dr. Hans W. Griepentrog (Universität Hohenheim).

Quellen
Jürgen Beyerer et al. (Hrsg.) (2021): Kompetent im Einsatz – Variable Autonomie Lernender Systeme in lebensfeindlichen Umgebungen. Whitepaper aus der Plattform Lernende Systeme, München 2021.
Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg (MLR) (2015): Streuobstkonzeption Baden-Württemberg – Aktiv für Reichtum und Vielfalt unserer Streuobstlandschaften. Broschüre, 3. Auflage, Stuttgart.
Reiser, D., Straub, J., Griepentrog, H. W. (2021): Autonomer Baumschnitt in Streuobstwiesen. In Informations- und Kommunikationstechnologien in kritischen Zeiten (pp. 265 – 270). Potsdam: GI, Bonn.
Straub, J., Reiser, D., Lüling, N., Stana, A., Griepentrog, H. W. (2022): Approach for graph-based individual branch modelling of meadow orchard trees with 3D point clouds. Precision Agriculture, 23, 1967 – 1982.

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