Wie lernende Systeme erfolgreich und zum Wohle aller entwickelt werden können

Susanne Boll und Wolfgang Faisst

Die Digitalisierung verändert seit Jahren die Geschäftsmodelle von Unternehmen. Künstliche Intelligenz (KI) und lernende Systeme sind dabei wichtige Treiber. Vor dem Hintergrund der rasanten technischen Entwicklungen stellen sich grundlegende Fragen für Wirtschaft und Gesellschaft: Wird künstliche Intelligenz unsere Wirtschaft und Geschäftsmodelle ähnlich stark verändern, wie dies durch das Internet geschieht? Führt die Technologie zu Kosteneinsparungen in Unternehmen und Verwaltung? Ermöglicht sie bessere Produkte und Dienstleistungen − und damit auch neue Erlösquellen? Wie nutzen wir Fortschritte durch künstliche Intelligenz, etwa für die Automatisierung und Individualisierung? Und wie wappnen wir uns gleichzeitig gegen mögliche Risiken? Als Gesellschaften müssen wir Wege finden, die Vorteile der künstlichen Intelligenz zu nutzen, ohne dass etwa Konflikte am Arbeitsmarkt entstehen oder die Privatsphäre beeinträchtigt wird.

Die Arbeitsgruppe Geschäftsmodellinnovationen der Plattform Lernende Systeme setzt sich mit der digitalen und KI-getriebenen Wirtschaft auseinander. Die Expertinnen und Experten repräsentieren verschiedene Anspruchsgruppen aus Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft und führen eine breite Diskussion darüber, wie KI-basierte Geschäftsmodelle erfolgreich und zum Wohle aller entwickelt werden können. Die folgenden Ausführungen basieren auf Passagen aus dem aktuellen Bericht(1) der Arbeitsgruppe. Unter Mitwirkung von 24 Expertinnen und Experten entstanden, zeichnet der Bericht ein Zukunftsbild, illustriert dieses anhand zahlreicher Fallbeispiele und bietet einen Leitfaden mit konkreten Gestaltungsoptionen für Entscheiderinnen und Entscheider aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.

Künstliche Intelligenz verändert die Wirtschaft in verschiedenen Schlüsselbereichen

  • Neue Formen der Vernetzung:Neue KI-basierte Geschäftsmodelle werden auch neue Formen der vernetzten Kooperation von Unternehmen hervorbringen. Unternehmen werden Produkte und Dienstleistungen anbieten, sie können aber auch selbst Daten und Wissen anderer Unternehmen nutzen. Ebenso können sie die eigenen Daten veredeln und anschließend anderen Unternehmen anbieten.
  • Smarte Produkte und Dienstleistungen: Ob Fahrzeug, Fitnessarmband oder Windkraftrad – heute sind nahezu alle Objekte digital anschlussfähig und erheben im Betrieb bzw. während ihrer Nutzung laufend Daten. Die Analyse dieser Daten mit KI ermöglicht neue „smarte“ Produkte und Dienstleistungen. Daten über den Zustand von Systemen und ihre Nutzung können auch dazu dienen, bestehende Produkte und Dienstleistungen zu veredeln.
  • Neue Freiheitsgrade für das Geschäftsmodelldesign: Die Ökonomie digitaler Güter unterscheidet sich von der klassischen Ökonomie physischer Güte, die aufgrund ihrer Materialität limitiert sind. Damit einher gehen höhere Freiheitsgrade beim Design von Geschäftsmodellen. Unternehmen verschenken digitale Güter häufig an bestimmte Gruppen (freemium, multi-sided business model), um diese zu einer langfristigen Nutzung zu motivieren, Daten zu generieren und/oder Werbung besser platzieren zu können. Im KI-Zeitalter stellt sich die Frage nach den ökonomischen Spielregeln neu. Denn KI-basierte Geschäftsmodelle benötigen Daten, die Unternehmen mithilfe lernender Systeme analysieren können.
  • Unternehmensübergreifende Geschäfts­modelle: Ein Beispiel für unternehmensübergreifende Geschäftsmodelle sind Mobilitäts-Apps, die Reiserouten optimieren. Sie berücksichtigen individuelle Vorlieben für bestimmte Verkehrsmittel und -wege, berechnen die schnellsten und günstigsten Transportmittel über verschiedene Anbieter hinweg, stellen das Ticket bereit und rechnen es anbieterübergreifend ab. Lernende Systeme ermöglichen ganz neue Produkte. Sie können nun in Echtzeit maßgeschneiderte Unikate konfigurieren und fertigen.
  • Plattformen und Ökosysteme: Die umfangreichen und vielfältigen Trainingsdaten, auf denen KI-basierte Geschäftsmodelle gründen, stammen häufig von Datenplattformen, werden dort ausgewertet und nutzbar gemacht. Mit Methoden des maschinellen Lernens lassen sich etwa Muster in den Daten identifizieren und Vorhersagen treffen, beispielsweise für die vorausschauende Wartung eines Maschinenparks. In vielen Fällen sind einzelne Unternehmen nicht in der Lage, datengetriebene Geschäftsmodelle umzusetzen. Vielmehr entstehen digitale Plattformen, auf denen Unternehmen unterschiedlicher Branchen und Größen zusammenarbeiten (digitale Ökosysteme).

Die KI-Landkarte inspiriert mit Fallbeispielen

Die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) initiierte Plattform Lernende Systeme betreibt in Kooperation mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) eine KI-Landkarte, die mit rund 700 Anwendungen veranschaulicht, wie KI die Wirtschaft verändert und welche neuen Geschäftsmodelle möglich sind. Die Anwendungen reichen über sämtliche Branchen, Wertschöpfungsaktivitäten und Einsatzfelder hinweg. Auch dass KI nur etwas für große ressourcenstarke Unternehmen sei, widerlegt der Blick in die Landkarte: Drei Viertel der Anwendungsfälle aus der Wirtschaft stammen aus Start-ups sowie kleinen und mittleren Unternehmen.

Gestaltungsoptionen

Wie können Unternehmen neue KI-basierte Geschäftsmodelle entwickeln? In ihrem aktuellen Bericht schlägt die Arbeitsgruppe Geschäftsmodellinnovationen der Plattform Lernende Systeme Gestaltungsoptionen vor, um die passenden Rahmenbedingungen für die Transformation der Wirtschaft zu schaffen. Zu den wichtigsten Empfehlungen zählen:

  • Center of Excellence (CoE) initiieren: Normalerweise organisiert ein eigens gegründetes Center of Excellence (CoE) die Implementierung von KI. Es ist mit den Fachbereichen verbunden. Sämtliche KI-Aktivitäten können so unternehmensweit koordiniert werden. Weil das CoE eng mit den Fachbereichen verbunden ist, können Beziehungen innerhalb und außerhalb des Unternehmens geknüpft werden. Best Practices und Trainings können mithilfe des Austausches an Fachabteilungen weitergegeben und dort durchgeführt werden.
  • Betriebliche Qualifizierungs- und Weiterbildungsprogramme für KI organisieren: Unternehmen sollten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mehr Gestaltungskompetenzen geben und sie für ihre neuen Aufgaben schulen. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollen befähigt werden, den Arbeitsplatz der Zukunft mitzugestalten. Online-Programme wie beispielsweise Udacity oder openHPI können dabei unterstützen. Wichtig ist es, sich ein umfassendes Bild über neue Rollen, Kompetenzprofile und die spezifische Expertise zu machen. Nur so können Personalabteilungen offene Stellen zielführend besetzen sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch Weiterbildungsangebote unterstützen.
  • Know-how-Communitys mit Partnern wie dem Deutschen Forschungsinstitut für Künstliche Intelligenz (DFKI), Fraunhofer-Instituten, Universitäten etc. aufbauen: Weiterhin sollten gezielte Unternehmenskooperationen unterstützt werden und dabei der Wissenstransfer und -aufbau vorangebracht werden.
  • Strategien für eine sichere technische Infrastruktur entwickeln: Anwenderunternehmen sollten Datensicherheit, Datenhoheit und Kontrolle gewährleisten und ungünstige Lock-in-Effekte mit einzelnen Anbietern vermeiden. Hierzu sollten sie Daten und Dienste identifizieren, die für ihre Wertschöpfung, für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie für Kundinnen und Kunden relevant sind.
  • Geschwindigkeit, Verlässlichkeit, Skalierbarkeit, Schnittstellen und Datensicherheit gewährleisten: Mit einem Multi-Cloud-Ansatz könnten sich Anwenderunternehmen von einzelnen Anbietern unabhängig machen: Durch eine Abstraktionsebene, die über den einzelnen Clouds liegt, würde die Interoperabilität zwischen verschiedenen Infrastructure-as-a-service(IaaS)-Lösungen ermöglicht und die Vertraulichkeit von Daten durch Verschlüsselung sichergestellt.
  • Datenstrategie festlegen: Ziel einer Datenstrategie ist es, relevante Daten zu identifizieren und zu sammeln, ihre Qualität sicherzustellen und sie zur Verfügung zu stellen. Erst auf dieser Grundlage kann das Unternehmen Werte mit KI schaffen. Für den Einsatz von KI ist nicht ein großer Data Lake notwendig, sondern ein Data Stream – es geht also um das kontinuierliche Aufbereiten, Verfügbarmachen sowie die Qualitätssicherung der Daten. Die Interfaces treten in den Vordergrund, während die Datenhaltung in den Hintergrund rückt. Unabdingbar ist dabei die Governance der Daten: Dazu zählen klare Datenrichtlinien und Zuständigkeiten, Datensicherheit sowie sämtliche Bereiche der Datenqualität, der Datenerklärbarkeit und des Datenschutzes. Besonders in Fragen des Datenschutzes empfiehlt es sich, externe Expertise einzuholen. Denn die für das jeweilige Unternehmen zuständigen Datenschutzbeauftragten gehen oftmals risikoavers vor und erschweren dadurch den Einsatz von KI.
  • Geschäftsmodell kontinuierlich anpassen: Die Entwicklung von KI-Systemen beginnt oftmals mit einem Proof of Concept (PoC), also einem Machbarkeitsnachweis. Schneidet ein Projekt erfolgreich ab, wird es anschließend vom „Laborexperiment” zu einem großen, „realen” KI-Projekt ausgeweitet. Damit gehen jedoch viele Schwierigkeiten einher. Während die Daten im Rahmen eines PoC meistens statisch sind, muss ein finales Produkt oder ein finaler Service mit einem kontinuierlichen Datenstrom umgehen und Operationen in Echtzeit ausüben können. Datenbanken müssen regelmäßig aktualisiert werden; das finale Produkt oder der finale Service müssen entsprechende Änderungen berücksichtigen können. //

Beitrag erschienen in:

Handbuch Digitaler Mittelstand
April 2020

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