Wie KI-Systeme Mobilität verbessern

Ein Expertenbeitrag von Prof. Dr. Susanne Boll-Westermann, Plattform Lernende Systeme

Ob durch vernetzte Mobilitätsräume oder die Optimierung von Verkehrsflüssen und Logistikprozessen – Künstliche Intelligenz kann Mobilitätskonzepte sowie bestehende Geschäftsmodelle verbessern und neue ermöglichen, schreibt Informatik-Professorin Susanne Boll-Westermann im Standpunkt. Damit neue KI-Geschäftsmodelle entstehen können, braucht es jedoch die richtigen Rahmenbedingungen.

Künstliche Intelligenz (KI) kann – und muss – einen wichtigen Beitrag zur Mobilität der Zukunft leisten. Denn die Herausforderungen der heutigen Mobilität sind groß – sowohl im Personenverkehr als auch in der Logistik: Die Folgen stetig ansteigender Verkehrsbewegungen wirken sich spürbar aus, nicht nur in Staus und schwer planbaren Lieferzeiten, sondern vor allem in immenser Umweltbelastung. Mehr als drei Milliarden Tonnen Güter wurden 2018 allein auf deutschen Straßen per LKW transportiert: Der Energieverbrauch des Transportsektors trägt nicht unerheblich zum Klimawandel bei. Auch der Individualverkehr hat Auswirkungen auf die Umwelt: Parksuch- und Pendelverkehr belasten nicht nur die Autofahrerinnen und Autofahrer, sondern verschlechtern die Luftqualität – vor allem in Großstädten.

KI-Systeme können zur Lösung dieser Probleme beitragen, indem sie Verkehrssysteme intelligenter machen. Durch optimierte und vorausschauende Routenplanung können nicht nur Lieferzeiten reduziert, sondern auch Treibstoffverbrauch von Frachtern oder LKW verringert werden. Eine optimale Auslastung von Ladekapazitäten basierend auf Vorhersagen von Kapazitätsbedarfen zu liefernder Waren und von optimierter Beladung tragen ebenfalls zu einer effizienteren und nachhaltigeren Logistik bei. Unter anderem, indem sie Leerfahrten reduzieren – der Leerkilometeranteil deutscher LKW beträgt heute circa 20 Prozent am Gesamtanteil der gefahrenen Lastkilometer im Jahr.

Im Individualverkehr versprechen KI-Systeme neue Möglichkeiten für bequemeres, schnelleres und gleichzeitig nachhaltigeres Reisen: Intelligente Plattformen werden unterschiedliche Mobilitätsformen (ÖPNV, Bahn, Ridesharing, Carsharing, usw.) miteinander verbinden und einen einzigen Planungs- und Buchungsprozess ermöglichen. Die Vision, mit nur einem Ticket von Tür-zu-Tür zu kommen, wird so Realität. Angebote des öffentlichen Personenverkehrs werden attraktiver, der private PKW immer unwichtiger: Verkehrssysteme, Autofahrerinnen und Autofahrer und die Umwelt werden gleichermaßen entlastet.

Intelligente Mobilitätsplattformen verknüpfen Leistungen und Daten

KI-Systeme werden den Mobilitätssektor nachhaltig verändern. So entstehen große Chancen für bestehende wie neue Marktakteure, aber auch große Herausforderungen, die entschlossenes und vorausschauendes Planen und Handeln erfordern: Ohne die passenden Rahmenbedingungen, die die Entwicklung von Lernenden Systemen und die Nutzung von Mobilitäts-Daten ermöglichen, werden Deutschland und Europa den Anschluss im Rennen um die führende Rolle in den Technologien einer Mobilität der Zukunft verlieren. Angesichts internationaler Dynamiken bei der Entwicklung von Lernenden Systemen stehen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft gemeinsam in der Verantwortung, die nötigen Voraussetzungen zu schaffen:

Besonders im Fokus dieses gemeinschaftlichen Handelns sollte der Aufbau intermodaler, KI-basierter Mobilitätsplattformen als verbindendes Element zwischen unterschiedlichen Mobilitätsformen und -anbietern stehen: Über intelligente Mobilitätsplattformen können Mobilitätsanbieter ihre Leistungen und Daten verknüpfen und besser auf Angebot und Nachfrage am Markt reagieren. Um signifikante Erfolge zu erzielen, müssen solche Plattformen die relevanten Anbieter des Personenverkehrs (öffentlicher Nah- und Fernverkehr, Car-Sharing-Unternehmen, Automobilhersteller) oder der Logistik (Speditionen, Redereien, Paketdienstleister, Bahn) miteinander verbinden. Und natürlich entstehen durch den Aufbau entsprechender Plattformen selbst auch neue Geschäftsmodelle.

Für viele KI-Geschäftsmodelle ist die umfangreiche Auswertung von mobilitätsbezogenen Daten (zum Beispiel Verkehrsdaten, Fahrzeugdaten, Wetterdaten, saisonale Veranstaltungen) entscheidend. Um Lernende Systeme in der Mobilität nutzbar zu machen, müssen deshalb die passenden Rahmenbedingungen zur Nutzung und Auswertung von diesen Daten geschaffen werden. Dies betrifft sowohl den Aufbau einer geeigneten Dateninfrastruktur, das heißt einer Mobilitäts-Cloud in Verbindung mit einem Daten-Ökosystem, über die Akteure im Mobilitätssektor gleichberechtigt frei-verfügbare Daten beziehen und in Verbindung mit eigenen Daten für ihre Geschäftsmodelle auswerten können. Aber auch die Gewährleistung von Datensicherheit und Datensouveränität als Basis für gesellschaftliche Akzeptanz.

Unternehmen müssen KI-Kompetenz aufbauen

Natürlich sind diese beiden Säulen zwar notwendige, aber keineswegs hinreichende Voraussetzungen für die KI-Geschäftsmodelle der Zukunft: Bessere Rahmenbedingungen für die Wachstumsfinanzierung neuer Akteure oder der Aufbau von KI-bezogenen Kompetenzen in den Unternehmen sind weitere, wichtige Schlüssel zur KI-basierten Mobilität der Zukunft. Damit die relevanten Marktakteure den Sprung in ein neues Zeitalter KI-basierter Geschäftsmodelle schaffen, müssen hier wichtige Impulse sowohl von unternehmerischen als auch von politischen Akteuren ausgehen und zu einem gesamteuropäischen Projekt gebündelt werden.

Neue Technologien und innovative Geschäftsmodelle werden zu mehr Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit in unserer Gesellschaft beitragen – vor allem auch im Bereich der Mobilität. Wenn wir heute nicht zögern, richtungsweisende Entscheidungen treffen, werden Deutschland und Europa auch in Zukunft in den Technologien des Mobilitätssektors führend bleiben können.

Expertenbeitrag erschienen in:

Tagesspiegel Background
26. November 2020

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