Status quo der KI-Forschung in Deutschland

Ein Expertenbeitrag von Prof. Dr. Katharina Morik, Plattform Lernende Systeme

Wo stehen wir derzeit mit der KI-Forschung im internationalen Vergleich und wie kann Deutschland im weltweiten Wettrennen um die Technologieführung bei Künstlicher Intelligenz nach vorne kommen? Katharina Morik, Professorin für Künstliche Intelligenz an der TU Dortmund und Mitglied der Plattform Lernende Systeme, koordiniert auf deutscher Seite die Zusammenarbeit der KI-Kompetenzzentren in Deutschland und Frankreich. Dieser Beitrag zeigt, wo die Schwerpunkte der deutschen KI-Forschung derzeit liegen und verdeutlicht, warum Deutschland und Frankreich in der KI-Forschung den Schulterschluss üben müssen.

Die deutsche KI-Forschung – insbesondere die Grundlagenforschung – ist auch nach internationalen Maßstäben insgesamt breit aufgestellt. Dies zeigt sich darin, dass sehr viele unterschied - liche Teilgebiete der KI an deutschen Universitäten gelehrt und erforscht werden. Daher steht Deutschland im Bereich KI auch im internationalen Vergleich gut da: Gemäß SCIMAGOjr (SCImago Journal Rank) war Deutschland im Ländervergleich bei der Anzahl der KI-Publikationen sowohl im Durchschnitt von 1996 – 2018 als auch 2018 allein auf Rang 6. Bei der Anzahl von Zitierungen lag Deutschland nach den USA und UK sogar auf dem 3. Platz. Obwohl es schon früh in Berlin und St. Augustin Arbeiten zum Maschinellen Lernen (ML) gab (Morik, Wrobel, Kietz & Emde 1993), die wissens- und datenbasiertes Modellieren im Zusammenspiel behandelten, stand in der deutschen KI-Forschung zunächst die klassi - sche Problemlösung im Vordergrund. Inzwischen wird die besondere Bedeutung des Maschinellen Lernens allgemein anerkannt. Einerseits ist Intelligenz ohne Lernfähigkeit nicht vorstellbar, andererseits können die wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Daten aller Art ohne Kuratierung, lernende Vorverarbeitung und Analysen nicht verwertet werden. Maschinelles Lernen optimiert viele unterschiedliche Systeme, etwa in der Produktion, in der Verkehrskoordination, in der Logistik oder im Gesundheitswesen. Zudem ist ML treibende Kraft hinter vielen KI-Anwendungen in der Forschung, etwa in der Physik, der Medizin oder der Agrarwissenschaft. Bereits 1988 setzte das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit der Einrichtung des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI) einen sichtbaren Schwerpunkt in der KI-Forschung. Zusammen mit den Forschungsinstituten der Fraunhofer-Gesellschaft, der Max-Planck27 Gesellschaft und der Leibniz- und der Helmholzgemeinschaft hat Deutschland eine leistungsfähige Wissenschafts- und Forschungslandschaft im Bereich KI, die eng mit der Industrie durch Beteiligung und Kooperationen verbunden ist. Durch die nachhaltige Förderung dieser Einrichtungen konnte die deutsche Forschung schon früh eine Spitzenposition einnehmen. Auch Sonderforschungsbereiche der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) bieten KI-Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftlern eine längerfristige Perspektive, bringen durch konzertierte Projekte und integrierte Graduiertenkollegs viele Promovenden zusammen und führen so zu herausragender Forschung. Startups wie DeepL oder RapidMiner zeigen, wie kurz der Weg von der Forschung in die erfolgreiche Praxis sein kann.

Ausweitung von Ausbildungsprogrammen und Forschungskompetenz

Der Lehre und Ausbildung an den Universitäten und Hochschulen kommt bei der Förderung der KI-Forschung und -Kompetenz eine entscheidende Rolle zu. Professorinnen und Professoren bilden nicht nur den wissenschaftlichen Nachwuchs aus, sondern auch diejenigen, die in den Firmen KI einsetzen, und die Lehrerinnen und Lehrer sowie die Ausbilderinnen und Ausbilder, die KIWissen weitervermitteln. Der Bedarf an Expertinnen und Experten mit Kenntnissen und Fähigkeiten im Bereich Maschinelles Lernen ist in Wissenschaft und Wirtschaft erheblich. Daher ist von der Schule über die berufliche Bildung, die Fachhochschulen bis hin zu den Universitäten auf allen Ebenen die Weiterentwicklung und der Ausbau von Ausbildungsprogrammen nötig. Im November 2018 beschloss die Bundesregierung die Strategie Künstliche Intelligenz, um Deutschland und Europa zu einem führenden Standort für die Entwicklung und Anwendung von KI-Technologien zu machen und die künftige Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands zu sichern. Da es jedoch nur wenige Professuren für Maschinelles Lernen in Deutschland gab und eine gewisse Anzahl von Forschenden an einem Ort Bedingung für den wissenschaftlichen Fortschritt ist, entstand die Idee, an einigen Orten die Kompetenz zu bündeln und auszubauen. Solche Kompetenzzentren sollen in die Umgebung ausstrahlen, mit anderen Universitäten, Fachhochschulen und Unternehmen zusammenarbeiten, sich untereinander vernetzen und Nachwuchs heranbilden. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat im Bereich Big Data und Maschinelles Lernen fünf Kompetenzzentren eingerichtet, nämlich in Berlin, München, Dresden/Leipzig, Tübingen und Dortmund/Bonn, zusätzlich zu dem seit 1988 bestehenden Deutschen Forschungszentrum für KI.1 Ursprünglich waren rund 64 Millionen Euro für die Förderung von 2019 bis 2022 vorgesehen. Bundesministerin Anja Karliczek, Co-Vorsitzende der Plattform Lernende Systeme, kündigte an, die Mittel für die Kompetenzzentren zu verdoppeln. An den Kompetenzzentren soll die Zusammenarbeit einer kritischen Menge an exzellenten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern erreicht werden, sodass diese Zentren auch international attraktiv sind. Wichtig ist der Ausbau der Forschungs- und Lehrkapazität, also die Einrichtung von Professuren. Die Aufbauarbeit der Kompetenzzentren dient dem Ziel, langfristig das Maschinelle Lernen an nahezu allen Universitäten und Hochschulen zu etablieren, wie das für die klassische KI mit ihren vielen Teilgebieten ja bereits gelungen ist. Gastaufenthalte von nationalen und internationalen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Sommerschulen und Veranstaltungen zur Vernetzung beziehen viele ein und fördern die Gemeinschaft der Forschenden. Jedes Zentrum hat ein Transferumfeld von Anwendungsgebieten und Firmen, Start-ups und kleinen Forschungsinstituten, sodass auch das Ökosystem der Anwendung und Entwicklung gefördert wird. Zudem vernetzen sich die Kompetenzzentren untereinander.

Zielsetzungen der deutsch-französischen Forschungskooperation

Wissenschaft ist stets international und so sind die deutschen Forscherinnen und Forscher in die internationale Forschungsgemeinschaft eingebunden. Die europäische Konferenz zu Maschinellem Lernen (ECML) wurde von einer deutsch-französischen Kooperation aus zu einer der wichtigsten Konferenzen innerhalb der Disziplin gestaltet. Im deutsch-französischen Grenzgebiet gibt es eine Tradition der Zusammenarbeit, etwa die Deutsch-Französische Hochschule in Saarbrücken oder das Abkommen zwischen DFKI und dem französischen nationalen Institut für Informationstechnologie (INRIA). Bei den nationalen KI-Strategien verbinden Deutschland und Frankreich die gleichen Ziele: KI soll die Menschen unterstützen sowie eine nachhaltige Wirtschaft in Europa erreichen. Hierfür braucht es eine starke Forschung, die die Ergebnisse aus der Wissenschaft zügig in die Praxis überführt. Die gemeinsame KI-Roadmap („Erklärung von Toulouse“), die Frankreich und Deutschland im Oktober 2019 für die stärkere Kooperation beim Thema KI unterzeichnet haben, sieht hier den Aufbau eines gemeinsamen KI-Ökosystems vor sowie bestehende Forschungskooperationen zu intensivieren und neue Kooperationsprojekte zu realisieren. Inzwischen gestalten wir hier eine enge Zusammenarbeit mit Frankreich auch über die KI-Kompetenzzentren in den beiden Ländern. Zu den Aktivitäten zählen der Austausch von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die Diskussion der Curricula in KI und Data Science sowie auch gemeinsame Anstrengungen für den Transfer in Anwendungen und die Unterstützung bei geeigneter Rechenkapazität. Auch die stärkere Vernetzung deutscher und französischer Wirtschaftsakteure ist geplant. Ferner werden in dem Fahrplan ein gemeinsamer Ansatz für eine sichere, souveräne Infrastruktur zur Datenspeicherung und zum Datenaustausch, ein abgestimmtes Vorgehen bei der KI-Standardisierung, ein gemeinsamer Ansatz bei Rechtsfragen zu KI sowie ein Diskurs über Sprunginnovationsprojekte angekündigt.

Ausblick: Weitere Investitionen in Spitzenforschung nötig

Bezüglich der weiteren Erforschung der KI-Technologie sieht sich Deutschland gegenüber der Konkurrenz aus China und den USA vor die Herausforderung gestellt, eine vertrauenswürdige und menschenorientierte KI-Forschung zu entwickeln, die Grundlagenforschung mit solidem Transfer in die Praxis verbindet – dies gilt als besonderes Profil europäischer KI-Forschung und kann zu einem Wettbewerbsvorteil werden. Um neben China und den USA zu bestehen, dürfen wir allerdings nicht bei befristeten Projektförderungen stehen bleiben, sondern es muss nachhaltig und abgestimmt in den europäischen Ländern in die Forschung, Lehre und Ausbildung zu Künstlicher Intelligenz investiert werden. Die KI-Forschung erfordert eine kritische Menge exzellenter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an einem Ort. Aus diesem Grund ist es für den weiteren Ausbau der KI-Forschung in Deutschland wichtig, dass bedeutende Forschungszentren weiter ausgebaut werden, die international attraktiv sind und auf Bildungseinrichtungen und Wirtschaftsbetriebe in der Umgebung ausstrahlen können. KI-Forschung als Leistung Einzelner ist nicht mehr zielführend.

Expertenbeitrag erschienen in:

Fortschrittsbericht der Plattform Lernende Systeme
Dezember 2020

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