Quo vadis KI-Forschung?

Ein Expertenbeitrag von Prof. Dr. Ute Schmid, Professorin für Angewandte Informatik insb. Kognitive Systeme an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg und Mitglied der Plattform Lernende Systeme

In zahlreichen Bereichen unserer Wirtschaft werden neue KI-Technologien bereits erfolgreich eingesetzt und innovative KI-Geschäftsmodelle umgesetzt. Gleichzeitig werden in der Wissenschaft neue Forschungsfelder erschlossen und auf immer komplexeren neuronalen Netzen beruhende KI-Modelle entwickelt. Die größten Fortschritte im Bereich der Künstlichen Intelligenz beruhen aktuell auf Methoden des maschinellen Lernens. Vielversprechende Innovationen ermöglichen zudem hybride KI-Ansätze, neue Netzarchitekturen und KISimulationen mithilfe von Quantencomputern. Trends und aktuelle Schwerpunkte der KI-Forschung in Deutschland erläutert Ute Schmid, Professorin für Kognitive Systeme an der Universität Bamberg und Mitglied der Plattform Lernende Systeme.

Prof. Dr. Ute Schmid ist Professorin für Angewandte Informatik insb. Kognitive Systeme an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg und Mitglied der Plattform Lernende Systeme

Durch die digitale Transformation unserer Wirtschaft sind auch immer mehr Unternehmen in Deutschland in der Lage, KI-Technologien anzuwenden. In unterschiedlichen Branchen und mit verschiedenen Zielsetzungen werden daher schon heute zahlreiche KI-Lösungen erfolgreich in der Praxis eingesetzt, etwa in der vorausschauenden Wartung von Maschinen in der Industrie, im Bereich der Sensorik bei der Entwicklung autonomer Fahrzeuge oder in der Bilderkennung im Rahmen der medizinischen Diagnostik. Dabei sind Unternehmen in Deutschland einem harten internationalen Wettbewerb um die neuesten Technologieentwicklungen ausgesetzt. Insgesamt ist Deutschland in der KI-Forschung gut aufgestellt: Bei der Entwicklung KI-basierter Sprachtechnologien oder der industriellen KI für Industrie-4.0-Anwendungen mit kollaborativer Robotik – etwa Produktionssteuerung oder dem Einsatz von KI-assistierenden Robotern – ist Deutschland im internationalen Vergleich führend. Zur Übertragung wissenschaftlicher Ergebnisse in die Praxis ist der rasche Transfer wichtig: Durch zahlreiche Förderprogramme auf Landesund Bundesebene wird daher insbesondere der breite Technologietransfer von der Forschung in die praktische Anwendung unterstützt.

Große neuronale Netze, neue Netzarchitekturen, Hybride KI und Quantencomputing

Eine wichtige Entwicklung im maschinellen Lernen und in der Künstlichen Intelligenz stellen große neuronale Netze dar – oftmals als Foundation Models bezeichnet. Bislang beruhten Anwendungen des maschinellen Lernens auf der Nutzung vorklassifizierter Trainingsbeispiele, aus denen mittels überwachten Lernens ein entsprechendes Vorhersagemodell entwickelt wurde. Solche vorklassifizierten Daten sind aber meist nur sehr begrenzt verfügbar, während Foundation Models das Ergebnis der Forschung zum unüberwachten Training von neuronalen Netzen darstellen. Durch solche neuen Architekturen können Modelle nicht nur mithilfe vorklassifizierter Daten trainiert werden, sondern auf Basis des fast unbegrenzt verfügbaren Materials, das in existierenden Texten, Bildern oder auch Videos verfügbar ist. Gleichzeitig ist es der KIForschung gelungen, die entsprechenden Architekturen auch skalierbar auf hochleistungsfähigen Computersystemen umzusetzen und Modelle zu trainieren, die mehrere hundert Milliarden Parameter umfassen. Dadurch können riesige Informationsmengen miteinander verknüpft werden, was die Lösung von Problemstellungen erlaubt, die logische Inferenzen erfordern und bis vor Kurzem noch unmöglich schienen. Dies markiert gleichzeitig einen bedeutsamen Schritt weg von den hochspezialisierten, auf eine einzige Aufgabe trainierten Modellen hin zu Modellen, die eine Vielfalt von Aufgaben lösen können. Unternehmen und Forschungseinrichtungen in den USA und China haben bereits eindrucksvolle Ergebnisse mit großen KI-Modellen erzielen können, etwa im Bereich der Sprachmodelle, der Text-Erstellung und der Dokumenten-Verarbeitung. Insgesamt versprechen neue Netzarchitekturen wie die Foundation Models großes Potenzial für viele praktische Anwendungen. Die Flexibilität, Adaptivität und Kontextsensitivität des menschlichen Denkens bleiben dennoch auch für die komplexesten KI-Modelle noch immer unerreicht. Die nächste Herausforderung wird daher sein, Ansätze des maschinellen Lernens zu entwickeln, bei denen datenintensive Ansätze zur Mustererkennung mit semantischen Ansätzen kombiniert werden. Solche Ansätze entstehen derzeit unter den Stichworten neurosymbolische KI oder hybride KI.

Analyse menschlicher Denk- und Lernprozesse gibt Impulse für die KI-Forschung

Bei hybriden KI-Verfahren werden Wissen und Erfahrungen von Expertinnen und Experten (z. B. Fachkräfte) mit datenbasierten Ansätzen kombiniert, die mithilfe von Methoden des maschinellen Lernens statistische Zusammenhänge analysieren und beispielsweise Empfehlungen daraus ableiten. Für die Entwicklung solcher Systeme ist es daher wichtig, noch besser zu erforschen, wie menschliche Lern- und Denkprozesse funktionieren – dies kann wiederum positive Impulse für die Entwicklung maschinellen Lernens bedeuten. Dadurch können menschliche Erfahrungs- und Beobachtungswerte in die Modellrechnungen integriert und kognitive Fähigkeiten des Menschen – etwa, Bedeutungen im Kontext zu verstehen – nachgebildet werden. Solche Ansätze versprechen zudem, die Mensch-Maschine-Interaktion in der Praxis weiter optimieren zu können, da die Verbindung wissensbasierter und datengetriebener KI die Anwendung maschineller Lernverfahren, die Nachvollziehbarkeit von Systemergebnissen sowie die Vorhersagbarkeit künftiger Ergebnisse verbessern kann – was zugleich wichtige Voraussetzungen für die Zertifizierbarkeit solcher Systeme sind. Die Weiterentwicklung der Verknüpfung von menschlicher und Künstlicher Intelligenz ist zudem für viele Anwendungsbereiche von großer Bedeutung, etwa für Assistenzsysteme bei der bildbasierten Diagnostik oder beim autonomen Fahren.

Ein weiteres vielversprechendes Feld in der KI-Forschung stellt die Erforschung von Künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen (ML) mithilfe von Quantencomputern dar: So können schwierige KI- und ML-Verfahren hoffentlich mithilfe von Quantencomputern weiter erschlossen werden, da Quantencomputer Informationen, komplexere Probleme und größere Datenmengen in noch höherer Geschwindigkeit verarbeiten können.

Nächste Schritte in der KI-Forschung – Verteiltes Lernen und ressourcensparsame KI

In der KI-Forschung werden Daten künftig zunehmend von vielen verschiedenen, verteilten Quellen gesammelt; weiterhin wissenschaftlich erforscht werden müssen innovative Lösungsmöglichkeiten für einen nachhaltigen KI-Einsatz: Maschinelles Lernen und Datenmanagement unter Ressourcenbeschränkungen – wie können Modelle entwickelt werden, bei denen Speicherplatz, Energieverbrauch und Rechenkapazität beschränkt sind? Eine Möglichkeit stellen datenminimalistische KI-Ansätze dar, dadurch können etwa Kosten durch weniger Rechenzeit und indirekt auch durch schnellere Lernzyklen der KI-Systeme eingespart werden. Gleichzeitig versprechen datenminimalistische KI-Lösungen Nachhaltigkeitsgewinne durch Emissionsreduktion; zudem entsteht mehr Transparenz durch erklärbare KI, die nicht nur bei der generellen Optimierung der Systeme hilft. Auch Federated-Learning- Ansätze sowie die Wiederverwendung von Modellrechnungen können helfen, den Ressourcenverbrauch in der KI-Forschung und -Anwendung zu senken.

Damit Deutschland im internationalen Wettbewerb in der KI-Forschung weiter mithalten kann, sollten Wissenschaft und Wirtschaft die interdisziplinäre und multiperspektivische Erforschung und Entwicklung von KI-Technologien, die zu einem skalierbaren, kommerziellen Einsatz von KI in Unternehmen beitragen können, weiter fördern. Wichtig ist dabei die Vernetzung von Akteuren mit verschiedenen Perspektiven und Expertisen (industrielle, akademische und staatliche Forschungseinrichtungen) sowie Robotikund KI-Forschenden aus verschiedenen Anwendungsdomänen. Wichtige praxisnahe Simulationen können beispielsweise dann erstellt werden, wenn Unternehmen Forschenden Zugang zu realistischen Daten und Ausnahmefällen ermöglichen.

Beitrag erschienen in:

Fortschrittsbericht Plattform Lernende Systeme 2022
Dezember 2022

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