Praxistipps: Einführung von KI im Mittelstand

Ein Expertenbeitrag von Olga Mordvinova, CEO von incontext.technology GmbH und Dr. Andreas Liebl, Geschäftsführer der appliedAI Initiative GmbH

Dr. Andreas Liebl, Geschäftsführer der appliedAI Initiative GmbH und Mitglied der Plattform Lernende Systeme

Künstliche Intelligenz (KI) gilt als eine der zentralen Technologien der digitalen Transformation. In allen Bereichen der Wirtschaft verspricht die Nutzung von KI großes Potenzial. Insbesondere auch kleine und mittelgroße Betriebe (KMU) können von diesem technologischen Fortschritt profitieren: Von der Optimierung interner Prozesse über die Verbesserung der Kundenkommunikation bis hin zur Entwicklung innovativer Produkte und Geschäftsmodelle.

Für die Einführung KI-basierter Anwendungen in KMU bedarf es ein gutes Know-How, die nötigen Ressourcen und eine klare Strategie. Ein praxisorientierter Leitfaden in Form einer KI-Roadmap kann Unternehmen helfen, KI strukturiert und zielgerichtet einzuführen.

Insgesamt lassen sich zur Einführung von KI fünf idealtypische Meilensteine zur Orientierung beschreiben. Der Weg führt entlang der Analyse des Status quo über die Bewertung des KI-Nutzens, dem Entwurf einer KI-Strategie, einem anschließenden Praxis-Check bis hin zur eigentlichen Einführung.

Analyse: Status quo

Der erste Schritt auf dem Weg zur KI-Einführung ist eine Analyse des Status quo im eigenen Unternehmen. Hierbei stellt sich die Frage, wieviel eigenes KI-Know-how das Unternehmen aufbauen wieviel externe Expertise es hinzuziehen möchte. Beschäftigte müssen entsprechend im Bereich KI weitergebildet werden. Alternativ oder zusätzlich können Mittelständer dafür auch auf externe Beratung und Services zurückgreifen. Ebenso sollte im Unternehmen erfasst werden, welche Prozesse sich für die Datenerfassung und -analyse eignen. Ein Grundverständnis für die Stärken und Schwächen von KI ist dabei unabdinglich, um KI gezielt einsetzen zu können.

Ein weiterer entscheidender Punkt in dieser Phase ist die Bestimmung des digitalen Reifegrads des Unternehmens. Wie weit ist die Digitalisierung bereits fortgeschritten? In welchen Abteilungen könnte KI gewinnbringend eingesetzt werden? Die Analyse der Wertschöpfungskette sowie die Identifikation von Best-Case-Szenarien und bestehenden Herausforderungen sind sehr hilfreich für die nächsten Schritte. Zudem gilt es zu bewerten, ob bereits Ziele und Kennzahlen für KI-Anwendungen existieren oder ob diese erst geschaffen werden müssen.

In dieser Phase sollte auch die Datenbasis und -strategie des Unternehmens bewertet oder ausgearbeitet werden: Ziel ist, relevante Daten zu identifizieren und zu sammeln. Klare Richtlinien zu Datensicherheit und Datenschutz sollten hier bereits mitentwickelt werden. Darüber hinaus ist es hilfreich, vorhandenes Domänenwissen aus verschiedenen Abteilungen in die Status-Quo-Analyse einfließen zu lassen.

Bewertung: KI-Nutzen

Nachdem der Status quo erfasst wurde, folgt die Bewertung des konkreten Nutzens von KI für das Unternehmen. Dabei sind zunächst grundlegende strategische Fragen zu klären. Was ist die Zielsetzung eines Unternehmens? Was soll mit KI erreicht werden? Soll KI lediglich bestehende Prozesse optimieren oder neue Geschäftsmodelle ermöglichen? Diese Überlegungen sollten in den Kontext der übergeordneten Unternehmensstrategie gestellt werden.

Wichtig ist es hierbei Leistungskennzahlen zu definieren und die Erfolgserwartungen von KI-Investitionen realistisch zu schätzen. Durch KI-Lösungen können Einsparungen in den eigenen Prozessen erzielt oder Kundenoptimierungen bis hin zu völlig neuen Produkten und Dienstleistungen ermöglicht werden. In vielen Unternehmen sind Prozesse häufig schon gut optimiert und der zusätzliche Return on Investment (ROI) durch KI fällt daher oftmals nur moderat aus. Vielversprechender erscheint daher häufig, mit KI-Lösungen (z. B. Software für B2B-Wertschöpfungsketten) auch neue Märkte erobern oder höhere Marktanteile erzielen zu können. Vielversprechende Anwendungsfälle auch außerhalb der Kernbereiche des Unternehmens können leicht übersehen werden, daher sollte in dieser Phase eine Übersicht über mögliche Anwendungsfälle erstellt werden. Erst nachdem klar ist, wo der realistische und möglichst skalierbare Kundennutzen mit entsprechender Zahlungsbereitschaft für die vielversprechendsten KI-Lösungen liegt, sollte eine detaillierte KI-Strategie entworfen werden.

Olga Mordvinova, CEO von incontext.technology GmbH und Mitglied der Plattform Lernende Systeme

Entwurf: KI-Strategie

Im nächsten Schritt gilt es, eine umfassende KI-Strategie zu entwerfen, die sich in die Unternehmensziele einfügt. Hierbei stehen verschiedene Aspekte im Fokus: Automatisierung, verbesserte Kundenkommunikation oder gar die Erschließung neuer Märkte. Eine erfolgreiche KI-Strategie definiert die übergeordneten Ziele und zeigt auf, wie KI zur Optimierung von Produkten oder Prozessen beitragen kann. Vor allem muss im Rahmen einer Strategieentwicklung die Wettbewerbssituation analysiert werden: Handelt es sich beim beabsichtigten KI-Einsatz um etwas, das auch relevante Marktteilnehmer tun? Müssen wir hier nachziehen, um den Anschluss nicht zu verlieren? Oder können wir mit KI vielleicht sogar einen schwer imitierbaren Wettbewerbsvorteil für unser Unternehmen schaffen? Möglichst realistische Szenarien für Marktanteilentwicklung, Prognosen zu Kosten und Erlösen sollten im Rahmen der Strategieentwicklung analysiert werden.

Die Strategieentwicklung muss dabei sowohl organisatorische als auch technologische Aspekte berücksichtigen. Dazu zählen unter anderem die Auswahl der richtigen Technologien, die Festlegung der benötigten personellen und finanziellen Ressourcen sowie die Integration der KI-Strategie in die bestehende Unternehmensstruktur. Best-Practice-Beispiele anderer Unternehmen können dabei als wertvolle Orientierung dienen.

Ein zentraler Punkt ist die Entscheidung zwischen interner Entwicklung und externem Einkauf von KI-Lösungen. Während eigene Entwicklungen mehr Kontrolle bieten, sind externe Lösungen oft schneller verfügbar. Je nach Unternehmen können auch hybride Modelle sinnvoll sein.

Praxis-Check: KI-Strategie in Pilotprojekten

Basierend auf der entwickelten KI-Strategie und den identifizierten Anwendungsfällen sollten Unternehmen anschließend die nötigen Voraussetzungen für Pilotprojekte schaffen. Diese dienen dazu, erste Erfahrungen mit KI zu sammeln und zu evaluieren, welche Anpassungen der Strategie notwendig sind. Unternehmen müssen hier prüfen, ob die eingeschlagene Strategie funktioniert, ein Nutzen für Pilotkunden entsteht und ob KI und Daten in beabsichtigter Qualität rechtzeitig zur Verfügung stehen. Pilotprojekte sollten gezielt in Bereichen mit hohem Digitalisierungsgrad angesiedelt werden, um auf einer guten Ausgangslage aufbauen zu können. Dennoch ist es wichtig, sich nicht ausschließlich auf KI-Anwendungen zu fokussieren, sondern stets den übergeordneten Geschäftsprozess im Blick zu behalten. Auch Fragen der Unternehmenskultur und des Change-Managements sind in dieser Phase entscheidend und sollten vor der eigentlichen KI-Einführung beantwortet und vorbereitet werden. Die Anwendung der KI im Unternehmen sollte immer menschenzentriert sein. Nur wenn Beschäftigte in den KI-Prozess eingebunden werden, kann eine nachhaltige Implementierung gelingen. Auch Fragen zur langfristigen Datensicherheit und zum Datenschutz spielen eine bedeutende Rolle und müssen vor der eigentlichen KI-Einführung geklärt werden.

KI-Einführung

Die Einführung von KI ist ein iterativer Prozess, der oft kontinuierlich nachjustiert werden muss. KI-Modelle und KI-basierte Prozesse können mit der Zeit an Genauigkeit verlieren, wenn sich äußere und innere Bedingungen verändern. Insbesondere das Wettbewerbsumfeld kann Änderungen notwendig machen, wenn andere Anbieter im KI-Rennen aufholen oder vorne liegen und Kunden drohen zu wechseln. Deshalb sind regelmäßige Feedback-Schleifen notwendig, um KI-Modelle und KI-basierte Prozesse stetig zu verbessern und anzupassen.

Da die Implementierung von KI keine einmalige Maßnahme ist, sondern eine dauerhafte Transformation, erfordert diese auch regelmäßige Qualifizierungsmaßnahmen und Weiterbildungen für Beschäftigte.

Machen oder kaufen?

Zum Start der KI-Einführung steht für mittelständische Unternehmen die zentrale Frage im Raum: Soll KI intern entwickelt oder auf externe Dienste zurückgegriffen werden? Während eigene KI-Lösungen langfristig Wettbewerbsvorteile sichern können, sind sie oft mit hohen Kosten und Ressourcenaufwand verbunden. Für viele Mittelständler bieten daher Software-as-a-Service-Angebote eine Alternative. Diese cloudbasierten Lösungen ermöglichen einen schnellen Einstieg und anfangs weniger technischem Aufwand. Allerdings muss auch bei der Zusammenarbeit mit externen Anbietern interne IT/KI-Kompetenz aufgebaut werden, damit sich das externe Produkt auf die internen Bedingungen anpassen lässt.

Externe Ansätze sind zudem sinnvoll, wenn unternehmensinternes KI-Know-how fehlt oder branchenweite Herausforderungen nur durch hohe Anfangsinvestitionen lösbar sind. Kooperationen mit IT-Beratungen, Systemhäusern oder Forschungseinrichtungen wie Hochschulen und KI-Kompetenzzentren reduzieren Risiken und nutzen komplementäre Ressourcen. Doch auch Software-as-a-Service -Modelle bergen Herausforderungen: Geschäftsprozesse sind je nach Unternehmen sehr unterschiedlich, was individuelle Anpassungen erfordert und komplexe Einführungsprojekte mit sich bringen kann.

Letztlich hängt die Entscheidung von der strategischen Wettbewerbspositionierung ab – häufig kann auch eine Mischstrategie für unterschiedliche Geschäftsbereiche sinnvoll sein.

Weiterführende Informationen

Der Gastbeitrag basiert auf dem Booklet „KI im Mittelstand“ der Plattform Lernende Systeme, einem Gemeinschaftsprojekt mit Kooperationspartnern aus Forschungseinrichtungen und Unternehmen, unterstützt durch Mitglieder der Plattform Lernende Systeme. Stellvertretend fungieren Olga Mordvinova und Dr. Andreas Liebl als Autoren des Gastbeitrages.  

Über die Autoren

Olga Mordvinova ist Gründerin und CEO der incontext.technology GmbH. 2022 wurde sie zu einer der 50 Top-Unternehmerinnen in Deutschland gewählt. Vor incontext.technology war sie für IBM, SAP, ProsiebenSat1 in der Entwicklung und Leitung in strategischen Bereichen tätig sowie lehrte an der Universität Heidelberg. Mit ihrem Unternehmen setzt sich Olga Mordvinova für die nachhaltige Anwendung von KI/ML in der Industrie ein; sie ist zudem Beirätin und Mentorin mit der Fachexpertise in Digitalisierung und KI. Sie ist Mitglied der Arbeitsgruppe „Innovation, Geschäftsmodelle und -prozesse“ der Plattform Lernende Systeme.

Dr. Andreas Liebl ist Geschäftsführer der appliedAI Initiative GmbH sowie des gemeinnützigen appliedAI Institute for Europe gGmbH. appliedAI ist Europas größte Initiative für die Anwendung vertrauenswürdiger KI-Technologie. Die Initiative wurde 2017 von Dr. Andreas Liebl als Bereich der UnternehmerTUM München aufgebaut und 2022 in ein Joint Venture mit dem Innovation Park Artificial Intelligence (IPAI) Heilbronn überführt, aus der die appliedAI Initiative sowie das gemeinnützige Institut hervorging. Mit über 100 Mitarbeitenden in München und Heilbronn arbeitet appliedAI daran, Europas Wettbewerbsfähigkeit zu sichern und die Zukunft aktiv mitzugestalten, indem das Unternehmen unter anderem internationale Konzerne wie Infineon, BMW und Siemens sowie den Mittelstand ganzheitlich bei der KI Transformation unterstützt. Zuvor war Andreas Liebl bei der Unternehmensberatung McKinsey als Berater tätig. Er ist Mitglied der Arbeitsgruppe „Innovation, Geschäftsmodelle und -prozesse“ der Plattform Lernende Systeme. Darüber hinaus ist er Mitglied des KI Rat Bayern sowie Teil der Expertengruppe 'Innovation and Commercialization' der GPAI Global Partnership on AI.

Beitrag erschienen in:

PC&Industrie
April 2025

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