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KI und Kulturwandel - Ermöglichung und Achtsamkeit können Hand in Hand gehen

Ein Gastbeitrag von Uta Wilkens, Ruhr-Universität Bochum und Mitglied der Plattform Lernende Systeme

Im Handwerk weiß es jeder: „nach fest, kommt ab“. Schrauben dienen der Befestigung, schaffen Sicherheit und Stabilität - vorausgesetzt, dass man sie nicht schon am Anfang verkantet und nicht am Ende überdreht. Denn sonst verkehrt sich ein verfolgtes Ziel ganz plötzlich in sein Gegenteil. Aus dem Werkzeugkasten wurde die Schraube deshalb nicht verbannt. Schließlich schafft sie richtig eingesetzt großen Nutzen. Geschickte Handhabung und Gespür für Grenzbereiche kann man lernen.

Diese Einsicht lässt sich auf Künstlicher Intelligenz (KI) übertragen. Zwar ist KI im Gegensatz zur Schraube kein ganz einfaches Werkzeug, aber bei ihrer Wirkung in Abhängigkeit von der Nutzungsintensität gibt es Parallelen. KI kann Arbeitsprozesse unterstützen und stabilisieren; allerdings erfordert die Einführungsphase besondere Aufmerksamkeit und gibt es bei der Nutzung Grenzbereiche. Daher bedarf es einer Kultur im Unternehmen, die die verantwortungsbewusste Einführung und Nutzung der Technologie unterstützt.

Was ist KI?

Uta Wilkens, Inhaberin des Lehrstuhls Arbeit, Personal und Führung, Institut für Arbeitswissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum, Mitglied der Plattform Lernende Systeme

Hinter KI verbergen sich unterschiedliche Verfahren zum Abgleich großer Datenmengen, um darin Muster zu erkennen, die ein Ergebnis beschreiben. Gut trainiert, kann die KI z.B. Qualitätsabweichungen in Materialien genauer und schneller erkennen als das menschliche Auge und so Prozesse optimieren.  Generative KI kann eigenständig Texte und Graphiken erstellen, komponieren und programmieren, weil sie die Fähigkeit dazu aus vorhandenen Daten und mittels statistischer Wahrscheinlichkeiten erworben hat. Dieser Möglichkeitsraum für die Bewältigung von Aufgaben und das Lösen von Problemen erweitert sich in hoher Geschwindigkeit. Es gibt eine Vielzahl von KI-Nutzerinnen und -Nutzern, auch in den Betrieben. KI ist also ein intelligentes Werkzeug, das Leistungen erbringt, die ursprünglich menschliche Fähigkeiten erfordert haben.

Wirkung von KI – im Idealfall entsteht Augmentierung

Die Wirkung von KI wird durch die Interaktion mit den Nutzenden kontinuierlich weiterentwickelt, und zwar so, dass durch die Emergenz des Systems dominante Antworten zunehmend in den Vordergrund treten und periphere Beiträge sukzessive verloren gehen. Mit dem Einsatz von KI beeinflussen wir Prozesse und Ergebnisse, welche Inhalte wir erzeugen, wie wir mit anderen zusammenarbeiten und wie sich unsere eigene Expertise entwickelt. Idealerweise finden wir einen Weg, KI dort einzusetzen, wo die generierte Lösung besser wird, z.B. weil eine medizinische Diagnose oder industrielle Qualitätsprüfung treffgenauer wird, dabei die Kooperation im Team gestärkt wird und die mit der KI arbeitenden Individuen ihre Expertise durch die Interaktion mit der Technologie erweitern und nicht tendenziell verlieren. Findet eine Optimierung von Lösungen unter Kompetenzentwicklung der Individuen statt, spricht man von Augmentierung. Nicht immer ist klar, ob Expertise ausgebaut wird, z.B. durch die kompetente Handhabung einer KI-Anwendung, oder im Umkehrschluss sinkt, weil die individuelle Fähigkeit dazu nicht mehr gebraucht wird. Es gibt wissenschaftlich abgesicherte Methoden zur Mensch-KI-Rollenentwicklungen am Arbeitsplatz, um KI persönlichkeitsförderlich und im Sinne der Teamentwicklung in die betrieblichen Abläufe zu integrieren.

Betriebliche Rahmenbedingungen sind entscheidend

Augmentierung entsteht nicht durch die Technik selbst. Vielmehr kommt es auf die betriebliche Begleitung und die Gestaltung von Rahmenbedingungen für den KI-Einsatz und auf das reflektierte Nutzerverhalten an. Ein partizipativer Implementierungsansatz in steter Abstimmung mit der Arbeitnehmervertretung erhöht die Erfolgschancen. Ohnehin handelt es sich um einen mitbestimmungspflichtigen Tatbestand. Auch ein KI-Kodex der Geschäftsführung ist eine wichtige Grundlage, um vertrauensbildend gegenüber Belegschaftsmitgliedern und Kunden zu wirken. Hilfreich sind Experimentierräume – in der Unternehmenssprache Sandboxes – in denen Erfahrung mit KI aufgebaut werden kann bevor ein Roll-out erfolgt. Haben möglichst viele Arbeitskräfte Zugang zu den Experimentierräumen, umso besser. Damit diese über hinreichende KI-Kompetenz als Voraussetzung für eine verantwortungsbewusste KI-Handhabung verfügen, sind begleitende Maßnahmen zur angemessenen Kompetenzentwicklung erforderlich, so wie es der EU AI Act vorsieht.

Facetten von KI-Kompetenz

Zur KI-Kompetenz gibt es empirische Validierungen. Zuvorderst geht es um die sichere Nutzung der Software, häufig als Prompt Engineering bezeichnet. Es kommen aber ergänzende Facetten hinzu. Auf Ebene der Entscheiderinnen und Entscheider ist Basiswissen über maschinelle Lernverfahren erforderlich, damit diese die mit der Technologie verbundene Dynamik antizipieren können. Eine weitere Facette ist die Fähigkeit, KI-generierte Aussagen kritisch zu beurteilen. Zudem geht es um die Vertrautheit mit ethischen Aspekten, die mit dem KI-Einsatz verbunden sind.

KI-Kompetenz und Nutzerverhalten

Untersuchungen zum komplexen Problemlösungsverhalten zeigen die positive Wirkung von KI-Kompetenz. Aus anderen Nutzerstudien wird aber auch deutlich, dass Menschen, die mit generativer KI zusammenarbeiten, persönlich weniger Zeit auf die Entwicklung neuer Ideen verwenden. Sie unterliegen einer Illusion der Expertise und ihr kritisches Denken verschiebt sich: ein Hinterfragen und Suchen nach besseren Lösungswegen bezieht sich nicht mehr auf die Domäne als solche (z.B. medizinische Diagnose), sondern verlagert sich auf die KI-generierten Antworten, inwieweit diese verlässlich erscheinen oder nicht. Werden hier bereits Grenzbereiche überschritten und die Problemlösungsfähigkeit sinkt mit zu hoher Nutzungsintensität? Nach fest, kommt ab…

Unternehmenskultur zwischen Ermöglichung und Achtsamkeit

Abbildung 1: Innovationsförderliche Kultur für die KI-Einführung

Es wird deutlich, dass nach aktuellem Stand der Forschung die Arbeit mit KI eine Unternehmenskultur erfordert, die sich bei der Einführung der Technologie auf das Ermöglichen konzentriert - durch Experimentierräume, KI-Kompetenzentwicklung und arbeitsgestalterische Ansätze, die eine Weiterentwicklung der Mensch-KI-Rollen unterstützen, flankiert durch partizipative Ansätze und klare Aussagen der Geschäftsführung zur ethischen Verantwortung durch einen KI-Kodex. Das Vorleben und Begleiten von reflektiertem Nutzerverhalten, ist dabei auch eine Anforderung an Führungskräfte. Ein kulturelles Bewusstsein für eine begleitende Rahmengestaltung ist Grundlage, um die Handlungsfähigkeit einer Organisation durch KI-Einsatz zu stärken. Es kommt wie auf der Plattform Lernende Systeme beschrieben (s. Abb. 1), auf eine innovationsförderliche Kultur durch Strukturen, Prozesse und individuelle Werthaltungen, auf Kommunikation und Kooperation an. Diese austauschorientierte Interaktion bezieht sich sowohl auf die Mensch-Technik-Interaktion als auch auf die Mensch-Mensch-Interaktion, sobald KI in einem Arbeitsbereich ins Spiel kommt.

 

Abbildung 2: Aktueller Stand der Kenntnis zur Problemlösungsfähigkeit und KI-Nutzungsintensität

Mit fortschreitender Intensität der KI-Nutzung wandelt sich der kulturelle Rahmen idealerweise von der Ermöglichung hin zur Achtsamkeit für Grenzbereiche, um nicht zu überdrehen und dadurch das individuelle und organisationale Problemlösungsverhalten unbemerkt zu reduzieren (s. Abb. 2). Beides stellt eine Herausforderung an den Kulturwandel dar. Denn die etablierten Mechanismen, Aushandlungen und mitunter auch Reflexe wirken nicht selten genau andersherum. Die Gefahrenzone wird zu Beginn eines Prozesses derart in den Vordergrund gestellt, dass die KI-Einführung ausgebremst wird, ganz so als würde man eine Schraube lieber nicht verwenden, weil man sie überdrehen könnte - Vorsicht ist durchaus geboten, aber vor allem im fortgeschrittenen Nutzungsstadium. Eine Kultur der Achtsamkeit und des Hinterfragens, wenn doch alles gerade gut läuft und man sich über die Effizienz- und Qualitätsgewinne freut, entspricht ebenfalls nicht den etablierten Gewohnheiten. Eine auf erfolgreiche KI-Nutzung orientierte Unternehmenskultur braucht zunächst Bestärkung und Beschleunigung und im Fortgang Behutsamkeit, um Verantwortungsbewusstsein durch jeden einzelnen zu leben. Ermöglichung und Achtsamkeit sollten Hand in Hand gehen.

Kulturwandel durch KI und Emergenz

Hinzu kommt, dass durch die Interaktion mit der KI das Wert- und Normgefüge in einer Organisation dynamisch mitentwickelt wird. Dies betrifft insbesondere den Umgang mit Wissensressourcen, Wissensträgern und die Art und Weise wie Lösungen – jenseits formaler Strukturen – erarbeitet werden. Diese Dynamik schließt das technische und das soziale System ein. Der Grenzbereich der KI-Nutzungsintensität, ab wann das Problemlösungspotenzial eher reduziert statt gefördert wird, wird durch diese Systemdynamik wiederum mit beeinflusst.

KI ist ein dynamisches Werkzeug und erzeugt im Zuge seiner Nutzung weitere Systemdynamik. Anders als bei der Schraube gibt es keine physische Bruchstelle, sondern durch die Art und Weise wie wir den Nutzungsprozess gestalten und begleiten, beeinflussen wir auch den Grenzbereich und können diesen versetzen. Damit sind Verantwortung und Kompetenz aller Akteure und Stakeholder gefragt und eine Kultur, die die Dynamik aufnimmt, die mit der KI-Einführung und -Nutzung erzeugt wird.

Weiterführende Informationen

Impulspapier „KI in Unternehmen: Perspektiven auf den Kulturwandel“ der Plattform Lernende Systeme

Beitrag erschienen in:

Handelsblatt
September 2025

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