Gute Kommunikation als Brücke zum Erfolg: Warum erfolgreiche KI mehr braucht als Daten

Ein Expertenbeitrag von Karl-Heinz Streibich, Plattform Lernende Systeme

Die aktuelle Corona-Krise beschleunigt die Digitalisierung in Wirtschaft und Gesellschaft erheblich – und damit auch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI). Laut einer Umfrage des ifo-Instituts haben 55 Prozent der befragten Unternehmen den digitalen Wandel in ihrem Betrieb während und durch die Pandemie vorangetrieben. Immerhin 36 Prozent der mittelständischen Unternehmen wollen als Reaktion auf die Covid-19-Krise in Künstliche Intelligenz investieren, fand eine McKinsey-Studie heraus. In der Pandemie tritt der Nutzen von Digitalisierung und KI-Systemen klar zu Tage: Mit KI-Unterstützung kann man zum Beispiel Maschinen fernüberwachen und durch selbstlernende Reaktionsmuster Produktionsausfälle besser vermeiden. Intelligente Algorithmen können in kurzer Zeit viele Millionen Moleküle vergleichen und so die Entwicklung eines Impfstoffs beschleunigen. Sie helfen auch, Infektionsketten zu verfolgen und unterstützen somit bei der Eindämmung der Pandemie.

Karl-Heinz Streibich (© Weedezign)

Die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) sowie acatech initiierte Plattform Lernende Systeme fokussiert auf eben diese klaren Nutzenpotenziale von KI. Dort, wo der Nutzen von KI augenscheinlich wird, wo wir die Vorteile von KI für unser Leben unmittelbar spüren können und wir die Chancen – also den Nutzen – und die Risiken abschätzen können, entwickeln wir Vertrauen und wollen KI auch nutzen. Das gilt gleichermaßen für Unternehmen wie auch für die Menschen im Allgemeinen.

Doch nicht immer ist der Nutzen so spürbar wie in der Pandemie, nicht immer treten mögliche Risiken so deutlich hinter den Chancen zurück. Häufig fällt die Bilanz anders aus. Wenn KI nicht verständlich ist, wenn KI als Blackbox erscheint, verunsichert sie uns. Tendenziöse, oft düstere Szenarien aus Medien und Science-Fiction leisten ihren Beitrag dazu. Zu den Chancen und Risiken herrscht folglich große Unsicherheit: Knapp die Hälfte der Deutschen hat heute eine negative Grundhaltung gegenüber KI, wie eine Studie des TÜV-Verbands zeigte. Interessant dabei: Fast jeder der Befragten hat schon einmal von KI gehört, doch nur wenige wissen, was sich dahinter verbirgt. Ähnliches zeigt sich übrigens in der Unternehmenswelt: Insbesondere kleinere Unternehmen erkennen häufig noch nicht den Nutzen, können auch nicht die Chancen und Risiken abschätzen, den der Einsatz von Künstlicher Intelligenz für ihren Betrieb bedeutet; konkrete Anwendungsbeispiele sind ihnen oft nicht bekannt. Das zeigt eine im Juni 2020 veröffentlichte Umfrage des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft (BVMW) und des Berliner Mittelstandszentrums Gemeinsam digital.

In einem aktuellen Praxisreport hat die Plattform Lernende Systeme deshalb zum Beispiel über ein Dutzend Anwendungsfälle gesammelt, die Unternehmen das Potenzial von KI für den eigenen Betrieb verdeutlichen. Aufgeschlossenheit für digitale Technologien entsteht nur, wenn Menschen eine positive Nutzen-Risiko-Bilanz für ihr eigenes Leben ziehen und sie in ihren Grundzügen verstehen können.

Letztendlich sind es sichere, nutzenbringende und ethisch unbedenkliche KI-Systeme, denen die Menschen vertrauen und die erfolgreich sein werden. Dabei ist der Schlüssel zu vertrauenswürdiger KI die digitale Souveränität, denn wir müssen selbstbestimmt unsere Daten sammeln und sicher auswerten können. Deshalb müssen wir uns unabhängiger machen von außereuropäischen Monopolisten. Wir brauchen dazu unabhängige, performante und vernetzte Dateninfrastrukturen, die Europas Selbstbestimmtheit auch in Krisenzeiten sicherstellen. Wir brauchen dazu also sichere und offene Datenräume, in denen gemeinsame Spielregeln für einen vertrauensvollen Austausch von Daten gelten.

Und: wir brauchen den Austausch von Meinungen, Bedürfnissen, Bedenken, ja, auch Ängsten. Wir müssen gemeinsam entscheiden, auf Basis guter Information, wo wir KI in Deutschland und Europa einsetzen wollen – und wo ganz bewusst eben nicht.

Ein Beispiel: Eine aktuelle Befragung der Plattform Lernende Systeme hat gezeigt, dass Patientenvertretungen den Einsatz von KI im Gesundheitswesen überwiegend als Chance sehen. Sie sind für KI-Systeme in Medizin und Pflege grundsätzlich aufgeschlossen. Aber sie wollen an der Gestaltung beteiligt sein. Sie wünschen sich, dass die Sorgen und Bedürfnisse der Patienten Gehör finden. Aus diesem Grund hat die Plattform Lernende Systeme zum Beispiel einen Runden Tisch mit Patientenvertretungen organisiert. Auch bei acatech erproben wir in einem Projekt neue Formate zur Beteiligung der Bevölkerung am technologischen Wandel in verschiedenen Technologiebereichen.

Die Bedürfnisse der Menschen müssen die Grundlage und der Ausgangspunkt sein für die Entwicklung von KI. Die Bedenken und Wünsche gut informierter Menschen, die hierzulande andere sind als in den USA oder China, müssen uns den rechtlichen und ethischen Weg für den Einsatz von KI weisen. Die Menschen müssen in der Lage sein, zwischen verschiedenen KI-Produkten das ihnen sicherer und unbedenklicher erscheinende auszuwählen. Sie müssen eine Alternative haben, um das Produkt zu wählen, das ihren persönlichen Wertvorstellungen entspricht.

So können wir gute Lösungen auf Basis Künstlicher Intelligenz entwickeln, die von einem breiten gesellschaftlichen Konsens getragen sind, mit dem Potenzial, uns in der weltweiten digitalen Aufholjagd einen Vorteil zu verschaffen.

Expertenbeitrag erschienen in:

Tagesspiegel Background
September 2020

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