Ein Interview mit Jochen Steil zum Gastbeitrag: Realitätscheck Human-Centric Automation – ein kritische Betrachtung
Ein Interview mit Jochen Steil, TU Braunschweig und Mitglied der Plattform Lernende Systeme
Prof. Dr. Jochen Steil ist Leiter des Instituts für Robotik und Prozessinformatik an der TU Braunschweig. Neben seiner Forschungstätigkeit arbeitet Jochen Steil als CEO der Gauss Robotics GmbH an der Entwicklung KI-basierter Robotiklösungen für KMW. Er ist Mitglied der Arbeitsgruppe „Arbeit/Qualifikation und Mensch-Maschine-Interaktion“ Plattform Lernende Systeme.

In Ihrem Beitrag nehmen Sie die Human-Centric Automation kritisch unter die Lupe und argumentieren, dass die Menschzentrierung eher unserer Angst vor Kontroll- und Arbeitsverlust in der Produktion entspringt und in diesem Sinne kein technisches Konzept ist. Woran machen Sie das fest und wie muss die Industrie dieser Angst begegnen?
Jochen Steil: Zunächst einmal ist das nur eine der möglichen Perspektiven. Die Angst vor den Folgen ist so alt wie die Automatisierung selbst. Und in der KI-getriebenen Produktion von morgen werden wir noch mehr und flexibler mit weniger Menschen produzieren können. Als Antwort darauf verstanden, setzt Menschzentrierung eine positive Vision dagegen. Aber wir dürfen den Wandel nicht unterschätzen. Menschzentrierung sollte nicht so missverstanden werden, dass es für Menschen reservierte Tätigkeiten gibt, die vermeintlich so bleiben wie sie sind. Wir werden uns darauf einstellen müssen, in allen Bereichen mit KI-Agenten und intelligenteren Maschinen und Robotern zusammenzuarbeiten. Voraussetzungen dafür, dass dies gelingt, sind in erster Linie Bildung und Qualifizierung.
Die menschzentrierte Automatisierung erscheint Ihnen wie das "Schönreden eines Rückstands im technologischen Wettlauf". Wie meinen Sie das genau und woran machen Sie das konkret fest?
Jochen Steil: Mir fehlt der Wettbewerbsgedanke als Kontext. China erzielt gerade einen sehr rapiden Anstieg der Produktionskapazitäten, nicht zuletzt durch menschenleere Fabriken und massiven Einsatz von KI. Und auch in Szenarien, in denen weiterhin Menschen und Maschinen in der Produktion zusammenarbeiten, wird es zumindest große Effizienzsteigerungen geben. Diesen Wettbewerbskontext muss eine menschzentrierte Automatisierung annehmen. Außerdem muss sie offensichtlich auf einer durchgehenden Digitalisierung im Sinne von Industrie 4.0 aufbauen. Aber wir wissen, dass dies insbesondere kleineren und mittleren produzierenden Unternehmen nach wie vor schwerfällt. Und während ich mir auch eine humanisierte Arbeitswelt wünsche, müssen wir uns auch den anderen nicht so angenehmen Realitäten stellen.
Das Verhältnis von Mensch und intelligenten Maschinen muss neu gedacht werden, auch in der Automatisierung, die zunehmend von KI beeinflusst wird. Was ist dafür notwendig und wie gehen wir das am besten an?
Jochen Steil: Es ist wichtig, nicht Menschen mit KI-getriebenen Maschinen zu vergleichen und dann zu argumentieren, dass diese nicht Menschen sind und darum etwas nicht können. Das lenkt die Aufmerksamkeit davon ab, dass moderne KI-Agentensysteme immer besser werden, z.B. auch im Problemlösen. Wir sollten besser fragen, in welcher Weise diese Maschinen intelligent sind und lernen, wie wir mit dieser Intelligenz optimal umgehen. Persönliche Assistenten und Co-Piloten, die auf große Wissensbasen zugreifen und Entscheidungen auch auf dem Shop Floor empfehlen können, werden sicher bald sehr verbreitet sein. Bisher sind Menschen aber messbar besser darin, flexibel auf Unvorhergesehenes zu reagieren. Ob das so bleibt, ist offen.
Schon seit einiger Zeit werden Stimmen lauter, die verpflichtende Normen und Werte für KI fordern. Müssen wir also auch Maschinen Moral einpflanzen? Braucht es einen kategorischen Imperativ für KI?
Jochen Steil: Ich sehe Regulierung im Sinne von Normen für KI als sinnvollen Versuch, wertegetriebene Entwicklung zu ermöglichen, indem wir uns zumindest darüber einigen, wo besondere Risiken in der Anwendung liegen. Da sind wir in Europa auf einem guten Weg, auch wenn das nicht einfach durchzuhalten ist, in einer Welt, in der sich viele an gar keine Begrenzungen halten wollen. Aber Fragen nach „Moral von Maschinen“ fallen für mich wieder in die Kategorie der weniger hilfreichen Vergleiche, die letztlich davon ausgehen, die Maschinen wären so wie wir und sollten im Prinzip genauso behandelt werden.
Die weitere Technologisierung der Produktion läuft dank KI am Ende auf die menschenleere Fabrik zu. Gleichzeitig sehen Sie auch Chancen, KI für die Humanisierung der Arbeitsplätze zu nutzen. Wie lösen wir diese Diskrepanz zwischen Vision und Realität auf?
Jochen Steil: Ich sehe beide Entwicklungen parallel, mit jeweils neuartigen Technologien und Verfahren. Sie befinden sich eher auf zwei komplementären Achsen, die beide stark von KI und damit möglicher neuer Flexibilisierung getrieben sind. Dort, wo wir durch klassisches Ersetzen menschlicher Arbeit schlicht effizienter sind, werden wir weiter automatisieren und den damit verbundenen, teilweise schmerzhaften Wandel auch annehmen müssen.
Eine eher kleinteiligere, flexible Automatisierung, die sich gut in bestehende Strukturen einpasst, ist ebenso sinnvoll und gerade in unserer durch KMU geprägten Wirtschaft auch notwendig, muss sich aber im Wettbewerb behaupten. In der Gestaltung dieser flexiblen Technologien liegt die Chance zur Humanisierung
Interview zum Gastbeitrag:
Realitätscheck Human-Centric Automation – ein kritische Betrachtung - PLS
Mai 2022