Daten teilen, Mehrwert schaffen: Erfolgsfaktoren im digitalen Wettlauf

Ein Expertenbeitrag von Dr. Wolfgang Faisst, Plattform Lernende Systeme

Dr. Wolfgang Faisst (© Carina Kircher)

Im weltweiten digitalen Wettlauf liegen die USA und China vorne. Will Europa hier mithalten, muss es uns gelingen, eine kritische Masse an Daten zu sammeln und über ein geeignetes Geschäftsmodell zu vermarkten. Künstliche Intelligenz (KI) ermöglicht es durch die Verknüpfung und Analyse von Daten, neues Wissen zu generieren. Auf diese Weise lassen sich bestehende Produkte und Dienstleistungen immer weiter individualisieren und damit für den Nutzer verbessern bzw. ganz neue (digitale) Leistungen erschaffen. Entscheidend dabei ist es, die Daten verschiedener Akteure entlang der Wertschöpfungskette intelligent miteinander zu kombinieren. So entstehen datenbasierte Wertschöpfungsnetzwerke innerhalb digitaler Ökosysteme, in denen die beteiligten Akteure auf Basis geteilter Daten und der Implementierung von Methoden der Künstlichen Intelligenz Mehrwert schaffen und so insgesamt messbaren Nutzen erzielen.

Die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Plattform Lernende Systeme hat gemeinsam mit acatech die Analyse „Von Daten zu Wertschöpfung: Potenziale von Daten- und KI-basierten Wertschöpfungsnetzwerken“ veröffentlicht1. Darin beleuchten wir, wie datenbasierte Wertschöpfungsnetzwerke funktionieren und welche Hürden Konzerne und KMU in der unternehmensübergreifenden Zusammenarbeit nehmen müssen. Mögliche Ausprägungen von Datenökosystemen werden anhand von praktischen Beispielen aus unterschiedlichen Branchen illustriert. In einem Wertschöpfungsnetzwerk überwacht beispielsweise ein Plattform-Unternehmen im Bereich der Predictive Maintenance die Maschinen von Unternehmen der Fertigungsindustrie. Die von integrierten Sensoren erfassten Maschinendaten werden mithilfe von KI ausgewertet und so ungeplanter Stillstand und Produktionsausfälle verhindert. Gemeinsam mit Finanzierungs- und Versicherungspartnern kann die Plattform ein geeignetes Wertschöpfungsmodell anbieten. In einem anderen Anwendungsfall bietet ein Plattform-Unternehmen Energieversorgern eine innovative Kundenbeziehung mit Privathaushalten. Die Endkunden erhalten eine App im Design des Energieversorgers, in der der Stromverbrauch in Echtzeit einzusehen ist. Durch diese Informationen kann der Endkunde ineffiziente Verbraucher erkennen und austauschen.

Die Erkenntnisse über die Funktionsweise der analysierten Datenökosysteme gelten für viele andere Sektoren. Vor allem für die heute im B2B-Bereich führenden Unternehmen aus Europa eröffnen sich über Wertschöpfungsnetzwerke in der so genannten „zweiten Halbzeit“ der Digitalisierung große Chancen.

Kooperation und Vertrauen

Die Beispiele für datenbasierte Wertschöpfungsnetzwerke mögen unterschiedlich sein, gemeinsam ist ihnen die Herausforderung, die Geschäftspartner initial zu gewinnen und dauerhaft einzubinden, quasi in Form eines „virtuellen Unternehmens“ mit einer gemeinsamen Dateninfrastruktur. In solchen Kooperationsverbünden kommt dem „fokalen“ Unternehmen (oftmals mit gutem Endkunden-Zugang) die zentrale Aufgabe zu, aus einer losen Gruppe eine funktionierende Einheit zu formen.

Die technischen Herausforderungen lassen sich gut lösen und es gibt geeignete Referenz-Architekturen (inkl. Schnittstellen und gemeinsamen Datenformaten), an denen man sich orientieren kann. Über den Erfolg entscheidet am Ende, ob die Geschäftspartner die notwendige Vertrauensbasis aufbauen und ein geeignetes Geschäftsmodell definieren können, das Nutzen für alle Beteiligten stiftet.

Typischer Ausgangspunkt bei der Definition von innovativen Geschäftsmodellen ist, ein vom Endkunden ausgehendes klares und direktes Nutzenversprechen („Value Proposition“) für jeden einzelnen Beteiligten zu schaffen.

KI-Expertise von außen

Viele Unternehmen lassen sich davon abschrecken, dass sie nicht die notwendige KI-Expertise haben, ihnen zum Beispiel keine Data Scientists zur Verfügung stehen. Dieser Mangel lässt sich kompensieren, indem die Unternehmen mit KI-Experten aus dem akademischen Bereich bzw. der Forschung kooperieren oder mit Unternehmensberatungen mit eigenen KI-Fachleuten zusammenarbeiten.

Eine größere Herausforderung ist dagegen, die für die Anwendung von KI-Verfahren notwendigen Daten in geeigneter Form bereitzustellen. Deshalb sollten die beteiligten Unternehmen eine Inventur ihrer Datenbestände vornehmen, und eine Daten-Landkarte für die später in den KI-Verfahren genutzten Daten-Objekte (z.B. „Kunde“, „Produkt“) und deren Quell-Systeme (z.B. Unternehmenssoftware, mobile bzw. Web-Anwendungen, IoT-Systeme mit Sensoren zu technischen Geräten und deren Nutzern) und -Formate erarbeiten.

Während die traditionellen IT-Abteilungen im Bereich der relationalen Datenbanken gute Kenntnisse mitbringen, werden für den Einsatz von KI typischerweise viel größere Datenmengen verarbeitet, so dass hier auf Technologien aus dem Bereich „Big Data“ bzw. Daten-Management- Plattformen zurückgegriffen werden muss, welche eher selten zum Repertoire einer typischen IT-Abteilung gehören. Sollen personenbezogene Daten verarbeitet werden, so sind die Vorgaben der DSGVO zu beachten. Dazu ist die Zustimmung der privaten Datenerzeuger einzuholen und diese nachvollziehbar abzuspeichern, etwa in Form eines „Daten-Vertrages“, der einem Daten-Pool zugeordnet ist.

Wie bei jedem Start-up, so ist es auch hier erfolgskritisch, einen sog. Minimum Viable Product (MVP)-Scopezu definieren, und zwar im Zusammenspiel mit initialen, oftmals eng in die Produktentstehung eingebundenen „Co-innovations“-Kunden. Der MVP ist der minimale Produktumfang, für welchen die ersten Kunden bereit sind, Geld zu bezahlen.

Da sich die Ökosysteme der avisierten Wertschöpfungsnetzwerke sehr dynamisch verändern können, sollten die Projekte durch einen agilen Roll-out möglichst frühzeitig auf den Markt gebracht werden. So können Methoden und Erwartungen der Teilnehmer – beispielsweise bezüglich Effizienzvorteilen und Nutzerversprechen des Produkts – früh geprüft, angepasst und so gewährleistet werden.

Daher sollte das Wertschöpfungsnetzwerk initial so zusammengestellt werden, dass es schnell handlungsfähig ist und sich bei Markterfolg sukzessive erweitern lässt. Dabei sollte man sich nicht scheuen, auch mit traditionellen Wettbewerbern zu kooperieren und gemeinsam gegen die digitalen Wettbewerber aufzutreten.

Während gegenüber dem Endkunden ein „as-a-Service“- Geschäftsmodell immer beliebter wird, werden die in der Wertschöpfung beteiligten Parteien über eine Erfolgsbeteiligung in Form eines Umsatzanteils dazu motiviert, ihre Daten zu teilen – der wesentliche Produktionsfaktor in der Datenökonomie.

Fünf Empfehlungen, wie aus Daten erfolgreiche Geschäftsmodelle entstehen

  • Transparenter Aufbau des Netzwerks mit klar formulierter Value Proposition aller Beteiligten
  • Definition einer klaren Datenstrategie, welche Qualität, Relevanz und Verfügbarkeit der für die Wertschöpfung nötigen Daten festlegt
  • Strategisch und langfristig angelegte (Forschungs-) Kooperation zur Generierung von eigenen Kompetenzen im Bereich Data Science
  • Agiler Roll-out des Produkts, um Hürden frühzeitig zu erkennen und das Produkt anpassen zu können
  • Kontinuierliche Prüfung und Anpassung des Geschäftsmodells und geeigneter Finanzierungsmodelle, z. B. Revenue Sharing

Expertenbeitrag erschienen in:

Handelsblatt Journal
September 2020

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