Frauen sind in den Bereichen Informatik und KI deutlich unterrepräsentiert. Inwiefern wirkt sich das auf die Technologieentwicklung aus?
Ute Schmid: Wenn es zu wenig weibliche Fachkräfte gibt, fehlen damit erstmal schlicht zahlenmäßig Fachkräfte. Gerade im Bereich KI gibt es – mehr noch als in anderen Bereichen der Informatik –aktuell mehr angebotene Stellen als entsprechend qualifizierte Bewerbungen. Leider haben insbesondere Mädchen und junge Frauen immer noch weniger Gelegenheiten zu entdecken, ob sie Talent für und Interesse an einem Fach wie Informatik haben. Oft trauen sie sich ein Informatikstudium auch weniger zu als Jungen – trotz vergleichbarer schulischer Leistungen, insbesondere in Mathematik. Empirische Studien legen nahe: Entscheiden sich Frauen für die Informatik, so ist ihnen eher wichtig als Männern, dass das, was sie erforschen und entwickeln, zu hilfreichen Anwendungen führt. Jane Margolis und Allan Fisher von der Carnegie-Mellon University charakterisieren den Unterschied mit "computing with a purpose" versus "dreaming in code". Ohne das mit konkreten Zahlen belegen zu können, finden sich in KI-Anwendungsgebieten wie der Medizin mehr Frauen. Frauen engagieren sich zudem für KI-Lösungen für Nachhaltigkeit und sind stärker an Entwicklungen für interaktive KI-Systeme als im Bereich voll-autonomer Ansätze aktiv.
Aus einem weiteren Grund ist es wichtig, dass Frauen in der KI-Entwicklung stärker repräsentiert sind: Schaut man sich speziell die datenintensive KI - also den Bereich des maschinellen Lernens - an, so legen erste wissenschaftliche Publikationen nahe, dass divers besetzte Entwicklungs-Teams zu einer Reduktion unerwünschter Verzerrungen (Biases) beitragen können. Das heißt, dass diverse Teams bereits bei der Auswahl der Trainingsdaten mehr darauf achten, dass Geschlechter und Ethnien fairer repräsentiert sind.
Wie lassen sich mehr Mädchen und Frauen für KI begeistern?
Ute Schmid: Aus meiner langjährigen Erfahrung mit Angeboten für Mädchen im Bereich Informatik nehme ich mit: Am wichtigsten ist, Mädchen immer wieder und am besten bereits ab dem Kindergartenalter zu ermöglichen, ganz konkrete Erfahrungen zu machen – sei es durch Programmieren von Robotern oder interaktiven Spielen, durch Anwendungen von maschinellem Lernen zur Klassifikation von Bildern oder von Sensordaten. Dabei sollte man Themenbereiche wählen, die Mädchen eher ansprechen, aber nicht unbedingt stereotyp sind. Eine Klassifikation von Vogelbildern ist vermutlich für sie spannender als eine Klassifikation von Automarken. Durch das Selbermachen wird nicht nur Interesse geweckt, sondern Mädchen haben auch die Chance, Zutrauen zur eigenen Kompetenz aufzubauen. Wichtig ist auch, dass solche Angebote möglichst kontinuierlich angeboten werden, damit das Thema als Option für die eigene Studien- oder Berufsentscheidung präsent bleibt. In meinem Team an der Universität Bamberg arbeiten inzwischen erfreulicherweise einige Doktorandinnen. Sie machen nicht nur exzellente Forschung, beispielsweise für partnerschaftliche KI-Systeme in der Medizin, sondern engagieren sich auch als Role Model für Schülerinnen und Studentinnen. Ich bin optimistisch, dass gerade im Bereich KI in den nächsten Jahren der Frauenanteil steigen wird.
Welche Vorbilder gibt es für Mädchen und Frauen in der KI?
Ute Schmid: Aktuell gibt es sicher weniger Frauen auf Professuren als Männer. Einige sind aber durchaus sehr sichtbar. - beispielsweise die KI-Professorin Manuela Veloso. Sie ist eine Pionierin im Bereich Planen und Lernen, war viele Jahre sehr erfolgreich im Bereich Roboterfußball und Präsidentin der Association for the Advancement of AI (AAAI). Die Stanford-Professorin Fei-Fei Li ist äußert erfolgreich im Bereich Deep Learning und Computer Vision. Dabei fokussiert sie auf Anwendungen im Bereich Gesundheit. Gleichzeitig engagiert sie sich mit ihrer Initiative AI4ALL für Inklusion und Diversität in der KI-Bildung. Die KI-Forscherin Timnit Gebru hat in ihrer Publikation “Gender Shades“ nachgewiesen, dass mit maschinellem Lernen aufgebaute Modelle zur automatischen Gesichtserkennung, die in kommerziellen Systemen genutzt werden, für Menschen mit nicht-weißer Hautfarbe und weibliche Personen deutlich schlechter funktionieren. Auch in Deutschland gibt es zahlreiche Professorinnen im Bereich KI, viele davon sind bei der Plattform Lernende Systeme aktiv und engagieren sich für nachhaltige, faire und menschzentrierte KI-Anwendungen.
Verständliche Informationen zu Grundlagen, Anwendungen und Herausforderungen von KI bietet das Webangebot www.ki-konkret.de der Plattform Lernende Systeme.
Welche Hochschulen in Deutschland Studiengänge rund um Künstliche Intelligenz und Data Science anbieten, zeigt die KI-Landkarte der Plattform Lernende Systeme.
Wie sich Mädchen für Informatik und KI gewinnen lassen, behandelt auch das MINT Nachwuchsbarometer 2022 (S.12) von acatech und der Joachim-Herz-Stiftung.
Das Interview ist für eine redaktionelle Verwendung freigegeben (bei Nennung der Quelle © Plattform Lernende Systeme).